Ripples Mai 2014
May 22nd, 2014
Lissabonner April: Francesconi, Dirty Beaches, Excepter
Das 1969 erbaute Veranstaltungshaus der Fundação Gulbenkian ist wie auch das Museum, das sich in einen gleichzeitig angelegten Park einfügt, ein Meisterwerk an modernistischer Schlichtheit und Klarheit. Im “Grande Auditório” wurde am 1. und 2. April Luca Francesconis Oper Quartett aufgeführt, die in Mailand Premiere hatte und in einer reduzierten Version auch in Portos Casa Da Música in der Inszenierung von Nuno Carinhas präsentiert wurde. Francesconi, ehemals Berio- und Stockhausenschüler, zeichnet sich schon für diverse zeitgenössiche Opern verantwortlich.
Die Lissaboner Aufführung wiederum lehnt sich mit der Inszenierung von La Fura Dels Baus und der musikalischen Leitung von Susanna Mälkki an die Uraufführung an. Laut Pressemitteilung ist Quartett die technisch bislang komplexeste Darbietung der Gulbenkian-Musikabteilung. Den technischen Schwierigkeitsgrad erhöht zusätzlich die Koordination von IRCAM Paris, dem Orchestra Gulbenkian mitsamt Chor und multimedialen Einspielungen.
Quartett ist ein Text von Heiner Müller, der Chroderlos de Laclos Roman Gefährliche Liebschaften 1980 zu einem Dialog umgearbeitet hat, in dem die beiden Hauptfiguren einen exzessiven und permanenten Machtkampf um Liebe, Betrug und Lebensüberdruss ausfechten.
Da hat man noch die Verfilmungen von Frears und – die weit experimentellere – von Forman in Erinnerung, aber dies hier ist wieder ganz etwas anderes: Valmont und Merteuil, Vertreter der Oberklasse, wie Àlex Ollé von La Fura Dels Baus das vermeintlich klassenkämpferisch sieht, und in einer kosmopolitischen westlichen Stadt lebend, sind auch vom “richtigen Leben” isoliert. Sie sind eigentlich nur mit sich selbst beschäftigt und veruschen ihre emotionale Leere durch gegenseitiges Drangsalieren und Betrügen zu verdrängen.
Das Bühnenbild wurde von La Fura Dels Baus auf einen im Raum schwebend-wirkenden schwarzen Kasten reduziert, hinter dem auf der Rückwand Bilder und Filme multimedial projeziert wurden. Diese meist graustichigen bis monochromen visuellen Bildfolgen scheinen von Dokumaterial von Flüchtlingsgeschichten zusammengeschnitten worden zu sein (die andere, reale Welt). Ollé erklärt das so: zuerst befinden sich Valmont und Merteuil in einer Zelle, einem Würfel ohne Vorder-und Rückwand. Die Zelle isoliert die Beiden von der Außenwelt und sie sind ein einem emotionalen Gefängnis gefangen. Das Exterriorale ist die Flucht ins Geistige mit seinen Wünschen, Begehren und Träumen. Der Übergang von der inneren zur äußeren Welt wird vom Musikalischen und Visuellen getragen.
Weit weniger sperrig wie man es von einer zeitgenössischen Oper erwarten könnte, aber mit Längen und Phasen, in der die Monotonie Vorrgang hat, was wohl der Dramaturgie des Stücks geschuldet ist, bekriegen sich Robin Adams (Bariton) und Allision Cook (Mezzo-Sopran) – die Valmont und Merteuil geben – stimmlich und physisch bis aufs Blut, tauschen die Rollen (und Kleider) mehrmals und bezeugen genau die klaustrophobisch-schwarzmalerische Stimmung, die die visuelle Inszenierung vorgibt; und letztendlich kommt immer mehr der trockene Humor eines Heiner Müllers zum Vorschein.
Der musikalische Grenzgänger und nach der Aufgabe seines bürgerlichen Jobs seit einigen Jahren nomadenhaft um die Welt ziehende Alex Zhang Hungtai aka Dirty Beaches residiert seit einigen Monaten in Lissabon, wo er vom alternativen Zentrum Zé Dos Bois eine Residenz für einen Künstleraufenthalt erhielt. Die portugiesische Hauptstadt wird, nachdem andere, lange erschwinglich gewesene Zentren wie Berlin langsam aber sicher auch für freischaffende Künstler nicht mehr finanzierbar sind, in diesen Kreisen zunehmend attraktiver, da die Lebenshaltungskosten, auch aufgrund der Krise, die das Land in vielen Bereichen auch beinahe lahmlegt, sich noch nicht auf den EU-Durchschnitt
eingependelt haben. Vom Punk-Crooner, den er auf zahlreichen Tapes und dem ersten Album gab, haben sich seine Interessen zunehmend in experimentellere Bereiche zwischen Ambient und Improvisierter Musik vorgetastet, wie man schon teilweise auf dem letzten Doppelalbum Drifters/Love Is The Devil und der Filmmusik Water Park hören konnte.
In einem Interview äußerte sich Zhang Hungtai begeistert über die Atmosphäre und die in manchen Bereichen noch nicht vollkommen globalisierte Lebensweise der Portugiesen. In einsamen Streifzügen in den Morgenstunden, nachdem er zuvor Musik spielte und aufnahm, erlebe er immer wieder faszinierende, manchmal beinahe zwischenweltlich angehauchte Momente. Zeugnis von seinem Leben in Lissabon sollte das, speziell für diesen Anlass geschriebene, Stück Landscapes In The Mist, im schönen Teatro Maria Matos geben. Eine Hommage an die Stadt Lissabon, d.h. für Zhang Hungtai, dass er seine Eindrücke in Töne umsetzt und sie mit den Gefühlszuständen seines diasporischesn Lebens konfrontiert oder angleicht. Die Frage nach Heimat ist für ihn, der in Tawain geboren, in Hawai aufgewachsen und dann in Kanada gelebt und Bürger geworden war, bevor er seinem inneren Drang nach Heimatlosigkeit folgte, zwiespältig besetzt und wird von ihm im Grunde, aufgrund der zunehmenden nationalistischen Tendenzen, auch politisch abgelehnt. Landscapes in the Mist, ein Stück von der letzten Platte, ist nicht unbedingt das Naheliegendste, das einem zu Lissabon einfällt, für Zhang Hungtai sind damit aber neben der inneren Befindlichkeit auch die erwähnten “ spooky moments “ gemeint. Nur logisch, dass seine Musik immer mehr atmospärisch innere Zustände auslotet. Auf der Bühne des Mario Matos’ spielt er zusammen mit Shub Roy – Multiinstrumentalist und hier Gitarrist – und, den über das ZDB kennen- und schätzen gelernten André Gonçalves – seines Zeichens Tüftler und mit Synthesizermodulatoren musizierenden Künstler, der sich ansonsten auch in der Bildenden Kunst wohlfühlt, eingebettet in einen dronigen-nebulösen und sehr introspektiv-monotonen Ambientsound, neben Gitarre vor allem Saxophon.
Dass die Stärken der New Yorker Band Excepter, wie ihr nachgesagt wird, vor allem bei Liveauftritten zum Zuge kommen, bewies ihr Besuch im multidiziplinären Zé Dos Bois im Bairro Alto.
Das aktuelle Line-Up um den charismatischen “Manic Street Preacher” John Fell Ryan mit John Nicholson (Synth., Electr., Guitar), John Williams (Synth., Electronics) und die in Lissabon fehlende Lala Ryan (Vocals, Synth., Electr., Perc.) amalgamisiert die früheren Ausflüge in beinahe jedes experimentelle Feld der Musik zu einem kompakten Ganzen, das trotz allem übereinandergelagerten und dichten Sound überraschend zugänglich ist. John Fell Ryan, mit ausladendem Sonnenhut und sich zum sich aufbauenden Rhythmusgeflecht in Zeitlupe in Trance tanzend, gibt den sonambulanten Beatnik des 21. Jahrhunderts, um dann seine literarischen Exkursionen im beschwörenden Sing Sang gegen die sich stetig weiter auftürmenden Layers aus der Maschinenfabrik entgegenhallen zu lassen. Nicholson entlockt seiner mit diversen Gerätschaften manipulierten Gitarre gar Seltsames und der Mann hinter den Maschinen John Williams ist ganz der coole New Yorker DJ, der das beste von Word Sound, tribalistische, verdubbte Psychedelica, No Neck Blues Band – Krauteskapaden und Popol Vuhiges mantraartiges Innehalten zu einer Art spirituellem Post-Industrial zusammenmixt. Mit den Tokyoter OOIOO ist die aktuelle Excepter Version vielleicht, wenn schon nicht mehr die hippste, gerade die zeitgemäßeste Live-Band.