O Futuro da Saudade 1
January 8th, 2010
David Maranha
Die Stilmittel von Drones und Obertönen in der aktuellen Musik wurde nun sogar von einer dem Metal entsprungenen Band wir Sunn O>> mit Monoliths & Dimensions auf intelleltuell anspruchsvolles Niveau gehievt. Ein Jahrzehnt zurück, hat eine Weiterentwicklung dessen, was Underground-Größen wie Tony Conrad, Maryanne Amacher, La Monte Young oder Neutöner wie Charlemagne Palestine und Scelsi in seinen Streichquartetten in den 1950ern und 60ern entwickelt hatten, außer einigen verstreuten Post-Industrialisten kaum jemanden interessiert.
David Maranha sah das von Beginn seines musikalischen Schaffens an anders, und wurde dann wiederum sofort als reiner Minimal Music – Nachkomme schubladisiert. Nun auch schon 25 Jahre als inzwischen anerkannter und auf internationales Rennomée stoßender Vertreter der Lissaboner Experimentalszene tätig, ist er derzeit an verschiedensten Projekten beteiligt. Anhänger seiner Musik konnten, nachdem er Mitte des Jahrzehnts überwiegend seinen hauptberuflichen Arbeit als Architekt nachkam, in den letzten drei Jahren ausgesucht gute Produktionen zur Gehör bekommen. Seine Formation Osso Exótico nahm mit dem legendären Perkussionisten Z’EV ein Album auf (Crouton), weitere Kollaborationen entstanden mit Organ Eye und Verres Enaharmoniques.
Marches of The New World (Grain Of Sound) ist ein Soloalbum mit Gästen, außerdem entstanden mit der Musikern der aktuellen Lissaboner Szene , Curia und dru. Mit klassischen oder traditonellen Instrumenten, die teilweise modifiziert sind, entwickelt Maranha immer wieder faszinierende, suggestive Variationen von Obertonmusik und Harmonien, die ritualistisch und verdichtet, scheinbar immer wieder versuchen in andere Sphären des Bewußtseins vorzustoßen, streng und in den besten Momenten von purer Schönheit.
Die Lissaboner Musikszene mit Vorzeigelabels wie Clean Feed, Headlights, Grain Of Sound, creative sources etc. hat sich verändert; Ananana, für die Pionierarbeit als Label, Vertrieb und Laden seit den 1990ern immens wichtig, schloß vergangenes Jahr seine Pforten. Neue Enthusiasten, wie die Betreiber der (Musik-) Galerie ZDB, Flur oder Veranstalter von jährlichen Experimental-Festivals übernahmen. Und wie überall, wenn die Vertriebsnetzwerke alternativer Kultur nicht mehr existent sind, wird man sein eigener Shop und verkauft die Musik via Internet.
Von einer Szene der experimentellen Musik in Portugal zu reden, sei vermessen, sagt David Maranha, seines Zeichens Gründer und Hauptkomponist von Osso Exótico, ganz portugiesisch im Understatement geübt.
Das würde von ausländischen Fanzines und Musikern vielleicht so gesehen, wohingegen man hier, spräche man von den zahlreichen Projekten und Musikern wie Emídio Buchinho, Nuno Rebelo, Anabel Duarte, Manuel Mota, Rafael Toral oder den Pionieren Telectu meist auf Unwissen und Desinteresse stoße. Davon abgesehen, kenne man sich untereinander so gut und das Umfeld sei dementsprechend überschaubar, dass man kaum von einer größeren Bewegung ausgehen könne. Es mag allerdings sein, räumt er ein, dass man als Außenstehender die nötige Distanz mitbringe, um ästhetische Parallelen und eine ähnliche Auffassung von Musik erkennen zu können, die einem selbst Involvierten verwehrt bliebe.
David Maranha begann 1985 zusammen mit Bernardo Devlin und António Forte, zuerst unter verschiedenen Bandnamen, ab 1989 dann als Osso Exótico zu komponieren und Musik aufzunehmen. Die ersten beiden LPs Osso Exótico I (1990) und Osso Exótico II (1992) erschienen wie die erste CD Osso Exotico III (1992) auf dem eigen Label Carbo Records. Nachdem man aus finanziellen und organisatorischen Gründen das Label einstellen musste, sind in der bis heute in der immer noch Bestand habenden Kernformation David Maranha, Patrícia Machás (und teilweise André Maranha) auf verschiedenen Kleinlabels regelmäßig neue Kompositionen von Osso Exótico, Kollobaborationen oder Soloprojekte veröffentlicht worden.
Klassischerweise waren die ersten beiden Alben noch vom Suchen und Ausloten von Ausdrucksformen geprägt und im weitesten Sinne vom Post-Industrial beeinflußt; auf den folgenden CDs kristallisierte sich dann ein zunehmend unverwechselbarer Stil heraus, der in eine Form von Anti-/Minimal Music mündete.
Gebraucht man den Begriff Minimal Music, impliziert dies selbstredend eine bestimmte Szene. Eine mehr oder weniger latente Seelenverwandtschaft zu ähnlich uneinsortierbaren US-amerikanischen Klangkünstlern wie Phill Niblock (mit dem Maranha während eines Aufenthaltes als Stipendiat in New York zusammenarbeitete) oder Maryanne Anmacher mag in der Musik Maranhas sicherlich auszumachen sein, geht die US-amerikanische Linie der Minimal Music, angefangen von den Sixties-Aktivisten oftmals von einer formalen oder mathematisch inspirierten Grundidee aus, sind Maranhas Kompositionen von einem poetischeren, wenn auch nicht minder konsequenten Impetus inspiriert. Selbst fühlt sich Maranha im ihm attestierten Minimal Music- Genre auch nicht aufgehoben. „Als ich mit der Musik begann, war ich überhaupt nicht vom Minimalismus beeinflußt, ganz zu schweigen von der Szene aus den 60ern. Heute werde ich von Kritikern oft auf Parallelen angesprochen, obwohl in meinen Kompositionen z.B. gar keine repetiven und statischen Formen vorkommen. Ich verstehe, worauf man mit dem Vergleich letztlich hinauswill, würde mich aber definitiv nicht als Minimalisten bezeichnen. Ich bin in erster Linie an bestimmten Sounds interessiert und die Realisierung meiner Vorstellungen, einschließlich der Instrumente und Mittel, kann in ganz verschiedene Richtungen ausufern.“
Der Name Osso Exótico bezieht sich auf ein Gedicht des portugiesischen Surrealisten António Maria Lisboa und wurde ursprünglich ohne direkten Bezug zur damaligen Musik gewählt. Als man den Bandnamen allerdings später reflektierte, sah man in der Arbeitsweise mancher Surrealisten , in der verschiedene Künstler zu einem gemeinsamen Projekt einen Beitrag leisten, aber durchaus einen logischen Zusammenhang.
David Maranha arbeitet wie sein Bruder André und Patrícia Machás hauptberuflich als Architekt, was, wenn man so will, die Affinität für ungewöhnliche Lokationen bei Auftritten und Aufnahmen und die enge Beziehung von Raum und Klang in ihrer Musik erklären mag.
„Die Technik spielt dabei“, so Maranha, „eine untergeordnete Rolle und ist demzufolge spartanisch und simpel. Die Klangquellen sind ausschließlich akustischer Natur und auf Manipulationen, Samplings und Computer verzichten wir gleichfalls. Allenfalls Kontaktmikrophone kommen zum Einsatz.“
Maranhas/Osso Exóticos Musik hat nichts mit der Hybridisierungstendenz der letzten eineinhalb Jahrzehnte gemein. Die Kombination aus Experimentiergeist und Starrköfpigkeit führt zu einer Klarheit und Strenge in den Kompostionen und hat seine Referenzpunkte in der Moderne. In den komplexen Kompostionen destilliert Maranha mikrotonale und tonale Drones zu verdichteten Polyphonien von Obertönen, die zu hypnotischen Klangfahrten werden können, in ihrer Sogwirkung nicht unähnlich den Spätwirken Scelsis oder den Arbeiten Niblocks; die Musik kann aber auch wie bei 9 Estreiras Para 1 Acorde De Piano oder Corrimão/Communidade das Mãos (for magnetic tape, hand read and percuted piano) ultrareduktionistisch und versponnen sein.
Ist das nun eine imaginäre Musik , die nur gedacht, sich im Kopf selbst zusammensetzt oder ist
Portugal für den gemeinen Mitteleuroper schon terra exotica genug, um nicht jeder lusitanischen Alchemie
und Augenzwinkerei folgen zu können?
Bei einem Auftritt in Paris 1999 zielt, während die Musiker spielen eine Art Zen-Bogenschütze auf eine Zielscheibe. Auf dessen Pfeil ist ein Text Becketts mikroskopisch klein kalligraphiert. Die Schrift wiederum wird auf eine Leinwand im Hintergrund der Bühne projiziert. Über die lauten, oszilierenden Obertondrones (Violine, Harmonium, Hammond Orgel!) hört man das Spannen des Bogens, den Abschuss und den Einschlag des Pfeiles, was einen enormen akustischen Effekt hat.
Bei der Live-Aufnahme zu Piano Suspenso verwendet David Maranha als Hilfsmittel Spielzeugmotoren aus dem Hauswarenladen, die als Führung für den Geigenbogen, mit dener er die Saiten eines Flügels bespielt, dienen (und konterkarriert damit zugleich das Motto der New York Electronic Performance– Reihe, in deren Rahmen der Auftritt stattfindet und man computergenerierte Musik erwarten durfte).
Für Osso Exótico IV erhielten die Musiker die Genehmigung die Orgeln der Kathedralen von Lissabon und Marvilla für Aufnahmen zu vewenden; das Ergebnis ist ein beinahe Messianisch-sakrales Werk, wenn auch, wie Maranha betont, religiöse Gesichtspunkte nicht im geringsten die Intention waren.