Ripples
August 4th, 2019
Neues von Cordelia Records:
Obscure Independent Classics 1985-1987
Culpho Dog Gymkhana – 2
The Melamine Division Plates – Novosibirsk
Alan Jenkins – The Ninth Alan
The Deep Freeze Mice – My Geraniums Are Bulletproof
“She really likes a band called Tears For Fears, She’s got nothing between her ears”
trällerten die Kamikaze Sex Pilots aus Leicester in schrillen Tönen; einer von vielen alternativen Schrammelhymnen, die sich neben experimentellen Klangcollagen, japanischem Minimalismus, aus dem Ruder laufenden Telefonaten, psychedelischem Pop und und und… auf der fünf Alben umfassenden Obscure Independent Classics – Reihe von Cordelia Records finden.
Auch heute noch klingen viele dieser Songs, die nebenbei einen perfekten Überblick über den musikalischen Untergrund der Achziger bieten, wie Zukunftsmusik. Die meist in 200er Auflagen gepressten LPs sind natürlich längst vergriffen und gesuchte Ware. Da schafft nun dankenswerterweise eine CD-Kompilation mit den Höhepunkten Abhilfe.
Für die Wiederveröffentlichung, die uns nochmals schnurstracks in die Welt des DIY und der Kassetten- und Kleinstlabels zurückkatapultiert (und uns dort vielleicht zurücklässt?) ist ein gewisser Alan Jenkins verantwortlich, der als treibende kreative Kraft nicht nur seine experimentelle Pop-Band Deep Freeze Mice zu einem enormen Output antrieb, sondern auch noch mit Cordelia Records ein Plattenlabel unterhielt. Letzteres zum Zweck, die staatliche Förderung ( £ 40.- /Woche) “zur Gründung einer Firma”, die die Thatcher-Regierung zum Beschleunigen der Privatisierung aussprach, für die Veröffentlichung von weiteren musikalischen Absonderheiten umzuleiten. Auch frönte Mr. Jenkins dem heutzutage noch exzentrischer anmutenden Hobby, sich per Briefpost auszutauschen und seine Musik mit vermeintlich Gleichgesinnten und Stubenhockern in der weiten Welt zu tauschen. Das Resultat war dann eine stattliche Anzahl an LPs, die im schönen Siebdruck – Falt – Cover Künstler wie Dolly Mixture, Mr. Concept, Rimarimba, Zoogs Rift, Leven Signs, R. Stevie Moore, der erwähnten Obscure Independent Classics – Serie und seinen eigenen Projekten zu Ruhm verhelfen sollte. Als Alan Jenkins Terry Burrows, der mit Hamster Records, eine ähnlich veranlagte Mission und eine Affinität für alles Japanische verfolgte, kennenlernte, mündete dies in zahlreichen Kollaborationen. Aus den Deep Freeze Mice wurden die Chrysanthemums (und später weitere Abkömmlinge wie Ruth’s Refrigerator, Jody & The Creams oder The Thurston Lava Tube) und die Liebe zu verschollenen Sixties-Klassikern wie den Zombies traf auf den intelligent verschwurbelten Aufbruchsgeist aus den Achzigern.
Nachdem die turbulente musikalische DIY-Welt mit seiner alternativen Geschichtsschreibung langsam implodierte und vom Zeitgeist für obsolet erklärt worden war, erhöhte Mr. Jenkins in seinem Haus in den englischen Midlands die Schlagzahl ganz einfach und macht seitdem ungebrochen weiter sein “eigen Ding”. Mag sein, dass sich die verwandten Seelen selbst im Land der kultivierten Exzentrik nun schwerer finden lassen, aber egal, dann erfindet man einfach zahlreiche, aus der Fantasie entsprungene Bands und schreibt jeweils eine Geschichte dazu, spielt praktisch alle Instrumente selbst, kreiert unterschiedliche Stile und veröffentlicht kleine Perlen am Laufmeter. Und was wäre die Welt ohne solch verschrobene Genies mit Minderheitsinteressen? Definitiv noch weniger auszuhalten!
Die Musik, die Alan Jenkins in der letzten Zeit für z.B. Culpho Dog Gymkhana, The Melanime Division Plate oder auch zwischendurch unter seinem eigenen Namen schrieb, ist immer unberechenbar und überraschend in seinen Wendungen, und doch zieht sich ein roter Faden durch das manifaltige musikalische Universum Jenkins’. Die von ihm als Genre erfundene Experimental Surf Music ist von langen Gitarreninstrumentals dominiert, die aber immer in alle Richtungen ausufern und seine Affinitäten für Garagenrock, Tape Music, Manipulationen in bester Beatles Weisses Album – Manier, Improvisationen oder Soundscapes miteinfließen lassen. Catchy, schräg und immer “sophisticated” und unterhaltsam, da kann man vortrefflich in eine bizarre Welt abtauchen und sich verlieren. Schwer zu sagen, wer ihn wo und wie unterstützte, aber es ist anzunehmen, dass die Musik praktisch von ihm alleine eingespielt wurde.
Versteht sich somit von selbst, dass auch die “weltweit verstreuten” Bands, die auf den “Experimental Surf Music”-Samplern munter instrumentale Coverversionen von Bowie, Velvet Underground oder Zappa interpretieren, eher in einem Wohnzimmer in Leicester beheimatet sind.
Alan Jenkins wäre nicht er selbst, wenn er nicht die schöne Tradition der bizarren und literarisch verschiedenste Stile und Genres verfolgende Sleeve-Notes der Deep Freeze Mice weiterführen würde, wo der höhere Schwachsinn zur Kunst stilisiert wird und zu immer surrealeren Ergebnissen führt. Dabei mischen sich seine ihm am Herzen liegenden Themen wie Tierrechte, Politik und das Musikbusiness mit seinen gleichfalls skurilen Auswüchsen problemlos mit den unterschiedlichsten Parallelwelten, der experimentellen Theaterwelt, erfundenen Wissenschaftstexten oder Sci-Fi-Stories.
Zum vierzigsten (!!!) Jubibiläum der ersten Deep Freeze Mice – LP “My Geraniums Are Bulletproof” spielte Alan Jenkins das Album nochmals ein:
Alan Jenkins: “In order to celebrate the 40th anniversary of the release of my very first album “My Geraniums are Bulletproof” by The Deep Freeze Mice, I have recorded it again. The new version is different to the old one in many interesting ways. For instance, I shortened the 28 minute track on side two down to 6 minutes and made one of the other tracks 28 minutes long instead. Crazy huh?”
Ripples
July 14th, 2019
Rimarimba – Below The Horizion / On Dry Land / In The Woods
Das Freedom To Spend – Label beschert uns mit den Wiederveröffentlichungen der Rimarimba – Alben, die in den 1980ern auf Kassetten bzw. Below the Horizon auch in einer lizensierten Kleinstauflage als Vinyl bei Cordelia Records erschienen, verschollen gegangene bzw. unter dem Radar der Presse und Radios gebliebene Klassiker der damals aus dem Post-Punk entstandenen blütentreibenden Avantgarde. Das Kassettenformat war das perfekte Medium für diese überzeugten Eigenbrötler und Außenseiter, die abseits von den Großstädten und fern aller Szenen an ihrem Mikrokosmos feilten. Nichtsdestotrotz war ihnen an einem Austausch und an Kommunikation mit ähnlich Veranlagten gelegen. Robert Cox, Multiinstrumentalist und Musikinstrumentenbauer aus Felixstowe, gründete Unlikely Records als Tape-Label, um seine Musik auch für andere zugänglich zu machen und um zu tauschen. Mit einer Marimba und einer Vielzahl an selbst konstruierten elektronischen Instrumenten begab er sich zuhause einerseits auf die Spuren von Neuen Musik-Größen wie Reich, Xenakis oder Ligeti, nur um einen Wimpernschlag später wieder all das zu vergessen, und um mit elektro-aktustischen, Tape-Experimenten und ethnologisch-folkloristischen Elementen und Psychedelica zu experimentieren. Kaum zu glauben welche Schätze damals von der Welt beinahe ungehört in einer Parallelwelt in Wohn- und Schlafzimmern lagerten.
Wären nicht artverwandte Musiker mit zusätzlichem Vernetzungstalent wie Alan Jenkins gewesen, der selbst mit den Deep Freeze Mice einem Außenseiterdasein frönte, aber es mit Cordelia Records dennoch zustande brachte all die musikalischen Kostbarkeiten, die er durch Kassettentauschen erwarb als Schallplatte zu veröffentlichen. Neben Leven Signs, Robert Stevie Moore, Dolly Mixture, Mr. Concept, der Obscure Independent Classics – Reihe wurde auch Below The Horizon von Rimarimba diese Ehre zuteil. Obwohl die Rimarimba – Alben alle die unverwechselbare kompositorische Handschrift von Robert Cox tragen und stilistisch sich ähneln, lässt sich doch wunderbar die Entwicklung der zu Beginn noch wildwüchsigen Ideen zu immer komplexeren und weirderen Kompositionen neu entdecken. Below the Horizon bündelt auf der ersten Seite mit seinen kurzen Stücken so ziemlich alle musikalischen Stile abseits des Mainstreams, von beschwingten melodischen Marimbaminiaturen über dunkle, schwabernde Synthieschlaufen zu free-jazzigen Klavierminiaturen zu ambienten Klanglandschaften, die einem Brian Eno zur Ehre gereicht hätten, von rhythmisch-feinen Perkussionsstücken im Stile von Midori Takada, von der akustischen Gitarre geprägten Kleinode bis zur elektro-akustischen Geräuschmusik. Das die ganze zweite Seite einnehmende Bebag schöpft aus der gleichen Vielfalt an Einfällen, drückt aber hinsichtlich der Aufmerksamkeitsspanne auf die Bremse.
On Dry Land, das zweite Album von 1984, verfeinert den Rimarimba-Stil mit found Sounds, Tape Collagen und spielt noch mehr mit melodischen und atonalen Elementen im bipolaren Wechsel. Die erste Seite wirkt leichter, ist dominiert von vertrackten melodischen Stücken, die zweite wirkt atmosphärischer, lässt Drones und an Nurse With Wound und Zoviet France erinnernde psychedelisch osszilierende Klangflächen zum Zuge kommen.
In The Woods schließlich bietet die gleiche spannende Vielfalt, vielleicht noch eine Spur virtuoser komponiert und montiert, ohne aber im mindesten die konsequente Haltung eines Klangforschers außer acht zu lassen. Robert Cox lässt sich für jeweils einen Moment von den Gitarrenkniffs eines Robert Fripps oder Vinny Reiley inspirieren, um dann auf dem Klavier den Freigeist zu geben und dann wieder einen Moment später fiebrig auf der Marimba und dem Glockenspiel sich überschlagende Melodien zu hämmern. Seine latente Affinität für Progrock lebte Cox dann bei The Same mit dem Album Sinc Or Swim aus, ein weiteres Soloprojekt, das ebenfalls auf seinem eigenen Label erschien.
Ein gesundes Maß an Isolation in einer Zeit, in der der Austausch und die Kommunikation via Schneckenpost stattfand, hat eine faszinierende musikalische Diversität ermöglicht. Dass außer den Enthusiasten für die beinahe klandestine Welt der Kassettenlabels kaum jemand von diesen “Ripples in the Ocean of Sounds” erfuhr, ist eine andere Geschichte. Immerhin scheinen die meisten Musiker, die in ihrem Wohnzimmer produzierten, ihre Aufnahmen archiviert zu haben, so dass es nun zu den Neuauflagen kommen kann. Dem Weltruhm steht nun nichts mehr im Wege.
Freedom To Spend
Ripples
July 2nd, 2019
Antologia de Música Atípica Portuguesa Vol. 1 und Vol.2
Auf dem formidablen Discrepant Label – einer wahren Schatzgrube unorthodoxer Klänge – das vom portugiesischen Musiker und Labelchef Gonçalo F. Cardoso von London aus betrieben wird und das eine globale Ausrichtung und ein offenes Visier für unterschiedliche experimentelle Musikstile hat, erscheinen auch immer wieder Platten mit Musik aus seinem Heimatland. Die ersten beiden Folgen der Música Atípica Portuguesa-Reihe sind gelungene Versuche, in einem Spagat traditionelle Lieder oder Zitate von zeitgenössischen Musikern aus den Randbereichen der alternativen Szene, dekonstruieren bzw. neu beleuchten zu lassen, und dabei ihre Essenz zu bewahren. Teilweise erschienen die Stücke schon auf Kassetten und Platten der Musiker, allerdings in absoluten Kleinstauflagen. Die übergeordneten Themen Arbeit (Vol.1) und Regionen (Vol. 2) sollen die Kompilationen – zugegeben etwas bemüht – strukturieren. Die Serie ist nicht zuletzt aber auch eine Hommage an den frühen Soundartisten und Musikethnologen Michel Giacometti, der über einen Zeitraum von dreißig Jahren in Portugal traditionelle Musik aufnahm.
Die schleppenden, manipulierten Gesänge, die von Live Low aus Porto genüßlich auseinandermontiert werden, erföffnen die Vol. 1. ; Antiplot heißt das Stück. Marlene Ribeiro, die bei Gnod aus Salford spielt, zeichnet unter dem Künstlernamen Negra Branca schon für größer angelegte Projekte in Eigenregie verantwortlich. Ihre Komposition, die von minimalistischen Perkussions und einer gesungenen Meldodie getragen ist, erinnert an längst vergangene Feldversuche auf dem Gebiet der zeitgenössischen ethnologischen Musik wie die von Jan Steeles und Janet Sherbournes Albanian Summer. Diese filigrane Musik darf gerne als ein schöner Widerspruch zur krautigen Ernsthaftigkeit ihrer Hausband stehen bleiben. Die Lissaboner Jazz – und Free Music-Szene versammelt sich bei EITR’s Stück Cicuta, das den Geräuschen einer Dampflok nacheifert. Luar Domatrix transzendiert ein Lied aus dem Alentejo in eine gespenstische zerschredderte Collage, Gonzo aka Gonçalo F. Cardoso schlägt in die gleiche Kerbe.
Tiago Morais Morgado beweist im kurzen Laurindinha seine Fähigkeit zur Vokalakrobatik, bevor Filipe Felizardos Gitarrenkaskaden zwischen Ruhe und Krach oder zwischen Durst und Tod (Sede e Morte) aufrütteln. Gonzo und Luar Domatrix tun sich für Já Lá Gritam No Calvário zusammen, bevor dann die beiden Künstler/Musiker aus Porto Calhau! wieder ein Beispiel surrealistischer Verdrehtheit präsentieren, ähnlich wie auf ihrer famosen Platte für Kraak. Peter Forest beschließt dann die Platte mit einem Hörspiel der anderen Art.
Noch stringenter und durchdachter abgestimmt hört sich die Vol.2 an. Diana Combo, die u.a. im Trio mit David Maranha und Filipe Felizardo spielt, aber vor allem auch ihr Soloprojekt EOSIN verfolgt, eröffnet die Platte mit dem hypnotischen Por Riba, das tatsächlich perfekt die Schnittstelle zwischen Tradition und Heute auslotet und an die Musik von Banda da Casaco erinnert, die in den turbulenten Zeiten der Post-Revolution auch, nicht nur musikalisch, zwischen den Stühlen standen.
Ondness komponiert abstrakte Elektronica in Autechre – Manier. Rui Carvalho bzw. Filho da Mãe ist einer jener famosen Gitarristen, von denen Portugal viele hat und die zwischen dem Übervater Carlos Paredes und der Moderne sich bestens aufgehoben fühlen. Live Low tauchen mit einem weiteren herausragenden Beitrag auf, auch hier erinnert die Verbindung von Gesang und einer folkloristisch-angehauchten Melodie an Banda da Casaco, allerdings in Porto elektronisch auf den neuesten Stand gebracht. Das Lissaboner DJ-Duo Banha da Cobra, das einem schon beim Kraak-Festival 2018 begegnet ist, schleicht sich durch Asylio, einem fein-ziselierten metallenen Track. Die musikalischen Feldforscher Fantasma und Gonzo bewegen sich am nächsten an Michel Giacometti, wobei sowohl Lamento das Beiras wie Tromba Rota so dekonstruiert sind, dass das Konkrete nur noch erahnt werden kann. Auch die zweite Folge endet mit einer Art aufgepeppten Hörspiel vom Lande, das nach einer Unterhaltung im Gebimmel von Kuhglocken ausläuft…
Ripples
June 19th, 2019
Nippon Connection 2019
Snapshots
Rudelkaraoke, Kockkurse, Live-Konzerte, der Kimono – Workshop, eine Nudelbar oder aber auch eine Einführung in die Untertitelung von japanischen Filmen, egal, alle Tickets waren bei der 19. Ausgabe der Nippon Connection mehr oder weniger in kürzester Zeit vergriffen. Und nicht viel anders sah es – beruhigenderweise – beim eigentlichen Business des sich über sechs Tage erstreckenden Festivals aus: um die hundert neue Produktionen wurden im Mousonturm, der Naxoshalle, dem Mal Sehn’ Kino und ein Retroprogramm mit Filmen mit der Schauspielerin Ayako Wakao im Deutschen Filmmuseum gezeigt. Japanische Filme sind in den westeuropäischen Großstädten inzwischen hip, finden demnach auch vermehrt den Weg in die Programmkinos und das ist ohne Zweifel das Verdienst der immer noch weitgehend ehrenamtlich tätigen Crew von Nippon Connection.
Als übergeordnetes Thema hat man sich dieses Jahr auf Außenseiter geeinigt. Und das kommt nicht von ungefähr, ist es doch um den kollektivistischen Gedanken des japanischen Volkes auch schon besser gestanden. Zunehmend werden Einflüsse und Probleme aus dem Ausland absorbiert – Überalterung, Vereinsamung, die Sehnsucht aus dem Hamsterrad auszubrechen, die Zunahme der psychischen Krankheiten – sind Themen, die auch in den Filmen zum tragen kommen.
Die ungemein erfolgreichen Großproduktionen der Marke Herz-Schmerz-Geschichten sind weiter unter der Rubrik Nippon Cinema zusammengefasst, die experimentelleren Varianten kann man in der Naxoshalle unter dem Banner Nippon Visions sehen. Tradition beim Festival haben natürlich auch die Anime-Filme und als neue Rubrik hat man dieses Jahr Nippon Docs – Dokumentarfilme – eingeführt.
Den Nippon Cinema Award gewann Hideki Takeuchis Fly Me To The Saltama, eine mit einer ordentlichen Portion Kitsch garnierte, überdrehte Komödie, gekonnt inszeniert und genau nach dem Erfolgsrezept konstruiert, um einen großen Publikumshit zu landen und die Zuschauer so zu rühren, dass die Taschentücher bemüht werden. Andere, ähnlich gestrickte, Mainstreamproduktionen wie Asako I & II von Ryusuke Hamaguchi, Marriage Hunting Beauty von Akiko Oku oder Room Laundering von Kenji Katagiri wären auch würdige Preisträger in dieser Hinsicht gewesen. Den Nippon Visions Audience Award sicherte sich Seiji Tanaka mit seiner zwischen Gangster- und Slackermovie angelegten Geschichte um die bizarre Verbindung von zwei Arbeitskollegen in einem Badehaus: der eine Auftragskiller, der andere gerade von der Uni abgegangen und aufgrund keines besseren Jobangebots hier gelandet.
Die Jury entschied sich für Sea von Kensei Takahashi als Preisträger und für einen wesentlichen ernsteren Film über einen jungendlichen Außenseiter, der eine Vergewaltigung einer Klassenkameradin in der Schule beobachtet und Jahre danach erneut mit der Situation konfrontiert wird.
Den Doc Award gewann Ian Thomas Ash für Sending Off, einem Film über ein Hospiz auf Rädern.
Hirobumi Watanabes Life Finds A Way knüpft an sein Debüt And The Mud Ship Sails Away an. Lakonisch, schwarz-humorig wird der vermeintlich unaufgeregte Alltag des Protagonisten beschrieben, der scheinbar keine größeren Ambitionen hat, außer Weggefährten den einen oder anderen Seitenhieb auszuteilen und unter einem saftigen Kreativstau leidet. Diesesmal ist der Außenseiterheld Watanabe selbst: Die Tage vertrödelnd, seine Umwelt mit Monologen nervend und anstatt an seinem neuen Film zu arbeiten, vor dem Fernseher und der Fußball- WM versackend, bleibt er mit diesem selbst-ironischen Film seiner Linie treu. Zweifellos in der Tradition von US-amerikanischen Regisseueren wie Jarmush oder Korine stehend, ist er hier um einiges bissiger – und vor allem komischer – als seine in die Jahre gekommenen Vorbilder.
Vom Skip City – Festival, das in Saitama seit 2004 stattfindet und sein Programm jungen Talenten widmet konnte man zwei starke (Kurzfilm-) Beiträge sehen, die Frauenfiguren in den Mittelpunkt stellten. Who Knows About My Life von Teppei Isobe und She Is Alone von Akiko Ashizawa, das ein beunruhigendes Bild vom Schulwesen in Japan heraufbeschwörte, wo Suizidversuche, Selbstverletzungen, Erpressung und Manipulation an der Tagesordnung sind.
And Your Bird Can Sing von Sho Miyake, eine im sommerlichen Hokaido angesiedelte Dreiecksgeschichte, überzeugte durch die starken Schauspielerleistungen: die federleichte, trotzdem mit einer Prise Melancholie unterlegte Geschichte nach einem Roman von Yasushi Sato handelt von drei Mittzwanzigern, die versuchen, den Leistungsdruck und die Erwartungshaltung der Gesellschaft noch etwas aufzuschieben. Anstatt Karriere zu machen, ziehen sie lieber durch die Clubs, verlieben sich und halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Blue Hour von Ryuto Kondo ist ein weiterer sympathischer Film über zwei Freundinnen, die im Japan von 2019 versuchen mit langweiligen Jobs, Beziehungskrisen und das – glücklose – Verdrängen der Vergangenheit und Herkunft zurande zu kommen. In einer spontanen Reise aus dem Moloch in die Provinz zu ihrer Familie wird Sunada von ihrer Freundin begleitet und in ihr Leben, von dem sie vielleicht einst geflüchtet war, zurückkatapultiert. Eine hübsche Momentaufnahme und eine Geschichte, die auch sonstwo in der Welt hätte angesiedelt sein können.
Kazuya Shiraishi widmet Koji Wakamatsu, einem, neben Masao Adachi und Haruhiko Arai, der wichtigsten Außsenseiter und Undergroundfilmer, die sich zwischen Trash und politischer Agitation bewegten, der Sechziger in Tokio, seinen neuen Film Dare To Stop Us. Erzählt wird das alles alerdings aus der Sicht vom Megumi, eine der wenigen Frauen im Business, die sich die Anerkennung im Männerbund hart erarbeiten musste (und sich aufgrund einer Schwangerschaft suizidierte).
Kosai Sekine, geboren 1976, ist ein vielseitiger Regisseur. Neben Werbefilmen und Musikvideos widmet er sich dem Dokumentarfilm und neuerdings dem Spielfilm. Tower of The Sun, das anlässlich der Weltausstellung von 1970 in Osaka erstellte Kunstwerk von Taro Okamoto dient dem ehemaligen Philosophiestudenten Sekine als Ausgangspunkt zu einem filmischen Essay über die Geschichte und Kultur Japans. Durch Interviews mit Künstlern und Geisteswissenschaftler nähert er sich dem Schaffen Okamotos an.
In seinem beklemmenden Langfilmdebut Love At Least thematisiert er die in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängte und drastisch zunehmende Anzahl von Menschen, die psychisch erkranken. Am ehesten werden Depressionen, Psychosen und eine Unkompatibilität mit der ständig zunehmenden Leistungsdruck mit Metaphern des Übersinnlichen und Spukhaften erklärt. Der instabilen, hypersenssiblen Yasuku – und auch, wie sich herausstellt, ihrem scheinbar funktionierenden Freund/Weggefährte Tsunaki – gelingt es nicht die an sie gerichteten und ihren eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Die Versuche können nur in einer Eskalaltion und dem Abbruch der Beziehung zur Außenwelt enden.
Ripples
February 27th, 2019
Black To Comm – Seven Horses For Seven Kings
Alexander Tucker – Don’t Look Away
Schweres Geschütz fährt Marc Richter auf seiner neusten Black To Comm – Veröffentlichung, der ersten für das Chicagoer Label Thrill Jockey, auf. Als hätten die Dronemaster von Sunn O >>> ihre Hände mit im Spiel gehabt und einen dunklen Nachhall hinterlassen, geht es hier richtig zur Sache.
Fanfarenstöße, martialische Lärmwände und industrial-ähnliche Drums und Beats ballen sich zu beunruhigenden Drones zusammen und steigern sich zu Crescendos, nur um dann wieder zu implodieren. Trotz allem Materialaufwand wirkt Marc Richters Musik in seiner Struktur aber immer noch songartig und erzählend. Man könnte Seven Horses For Seven Kings als Statement zur misslichen Weltenlage sehen, andererseits, blau, sehr blau war schon immer die bevorzugte Grundstimmung der Black To Comm – Welt. Die Songs sind auf dem neuesten Opus so komplex verschachtelt, dass man Gefahr läuft, die feineren, stilleren Nuancen ersteinmal zu überhören. Richters andere Seite, die man z.B. von Alphabet 1968 kennt und die in subtileren Bereichen des Ocean of Sounds fischt, ist nämlich nicht abhanden, nur etwas verschüttet gegangen. Alphabet 1968 von 2009 z.B. war ein erklärtes persönliches Album und hatte unter anderem das Aufwachsen im Schwarzwald in den 1970ern zum Thema. Mit dem warmen Grundton und dem Talent Gesprächsfetzen, Außenaufnahmen, melancholische Klavierakkorde, Schallplattensamples, akustische und elektronische Instrumente usw. in einer fesselnden Weise miteinander zu verbinden, stieß er mit seiner Musik durchwegs auf ein positives Echo und fand seine spezifische Handschrift.
Bei Seven Horses For Seven Kings, das über einen längeren Zeitraum in Hamburg und auch im InaGRM – Studio in Paris produziert wurde, kämpft man sich durch schwere, zähe Soundwelten, visuell analog zu der Geisterfratze auf dem Cover von Andreas Diefenbach. Plötzlich steht der Rhythmus und nicht mehr das Dahinfließen in verschieden Schichten der Musik im Vordergrund. Von droneartigen, brutzelndenden Soundgebilden nahe am Weltenabgrund über dramatische, bombastische Filmmusiken, von desolaten, einsamen Pianoeinlagen über psychedelisch verdrehte Albträume, von einer geisterhaften Spiel mir das Lied vom Tod – Referenz a là Forest Swords über einen atonalen Zusammenprall von technoiden Perkussion- Samples und einer Chor/Stimmeinlage aus der Neuen Musik ist hier alles möglich. Die Platte endet mit einem melancholischen, meditativen Travelogue durchs Bewußtsein in einer post-apokalyptischen Ruhe. Wie gesagt, schwerer Stoff.
Der unwiederbringlich von der englischen Folkmusik und seinen psychedelischen Exkursionen beeinflusste Alexander Tucker, verbindet seine Vorlieben für aus dem Ruder laufende und in dronige Verzweigungen abweichende Stücke auf seiner neusten Platte zu einem fast klassisch anmutenden Songzyklus.
Eigentlich aus dem HC-Punk kommend und auch stark mit der Comicszene in London verbunden – selbstverständlich zeichnet Tucker sich auch für die Covergestaltung verantwortlich – entdeckte er ziemlich bald die experimentelleren Varianten des britischen Folk-Acid-Undergrounds. Die frühen Solo-Alben wie Furrowed Brow oder Old Fog mischten auf unnachahmliche Weise das nostalgische Flair der traditionellen britischen, sprich englischen, Musik mit einem unwirklichen, unheimlichen Unterton und einem Gespür für eingängige Songs. Mit seelenverwandten Grenzgängern wie Richard Youngs oder Sharron Kraus steht Tucker seit der Jahrtausendwende für diese gleichzeitige Rückbesinnung und Gegenwärtigkeit.
Zusammen mit Daniel O’Sullivan bekleidet er außerdem ein, mit Versatzstücken des subversiv-esoterischen (Electro-) Pop-Underground herumspielendes Projekt, Grumbling Fur. Mit einer idiosynkratischen Mischung aus eigenen Ideen und (unterstellten) Hommagen an die Musikgeschichte – Boards of Canada, Current 93, Fad Gadget – begeben sie sich auf den Pfad des immer leicht versponnenen, immer angenehm schrägen englischen Undergrounds, White Magic sozusagen. Auch Kooperationen mit u.a. Stephen O’Malley stehen in seiner künstlerischen Vita.
Don’t Look Away, seiner ersten Solopltatte seit 2012, merkt man durchaus an, dass Tucker nun auch für diverse Auftragsarbeiten, z.B. für das Zürcher Schauspielhaus arbeitet, so kohärent und auf den Punkt gebracht hat man seine Einflüsse aus Folk, Kraut, Drone und Pop noch nicht gehört. Warmer Gesang, Gitarren, Orchesterarrangements, und selbst eine Gastsängerin wie Nik Void, die eher für die Avantgarde steht, gliedert sich in diesen, beinahe zeitlosen, Reigen schöner Musik ein.