Ripples
June 19th, 2019
Nippon Connection 2019
Snapshots
Rudelkaraoke, Kockkurse, Live-Konzerte, der Kimono – Workshop, eine Nudelbar oder aber auch eine Einführung in die Untertitelung von japanischen Filmen, egal, alle Tickets waren bei der 19. Ausgabe der Nippon Connection mehr oder weniger in kürzester Zeit vergriffen. Und nicht viel anders sah es – beruhigenderweise – beim eigentlichen Business des sich über sechs Tage erstreckenden Festivals aus: um die hundert neue Produktionen wurden im Mousonturm, der Naxoshalle, dem Mal Sehn’ Kino und ein Retroprogramm mit Filmen mit der Schauspielerin Ayako Wakao im Deutschen Filmmuseum gezeigt. Japanische Filme sind in den westeuropäischen Großstädten inzwischen hip, finden demnach auch vermehrt den Weg in die Programmkinos und das ist ohne Zweifel das Verdienst der immer noch weitgehend ehrenamtlich tätigen Crew von Nippon Connection.
Als übergeordnetes Thema hat man sich dieses Jahr auf Außenseiter geeinigt. Und das kommt nicht von ungefähr, ist es doch um den kollektivistischen Gedanken des japanischen Volkes auch schon besser gestanden. Zunehmend werden Einflüsse und Probleme aus dem Ausland absorbiert – Überalterung, Vereinsamung, die Sehnsucht aus dem Hamsterrad auszubrechen, die Zunahme der psychischen Krankheiten – sind Themen, die auch in den Filmen zum tragen kommen.
Die ungemein erfolgreichen Großproduktionen der Marke Herz-Schmerz-Geschichten sind weiter unter der Rubrik Nippon Cinema zusammengefasst, die experimentelleren Varianten kann man in der Naxoshalle unter dem Banner Nippon Visions sehen. Tradition beim Festival haben natürlich auch die Anime-Filme und als neue Rubrik hat man dieses Jahr Nippon Docs – Dokumentarfilme – eingeführt.
Den Nippon Cinema Award gewann Hideki Takeuchis Fly Me To The Saltama, eine mit einer ordentlichen Portion Kitsch garnierte, überdrehte Komödie, gekonnt inszeniert und genau nach dem Erfolgsrezept konstruiert, um einen großen Publikumshit zu landen und die Zuschauer so zu rühren, dass die Taschentücher bemüht werden. Andere, ähnlich gestrickte, Mainstreamproduktionen wie Asako I & II von Ryusuke Hamaguchi, Marriage Hunting Beauty von Akiko Oku oder Room Laundering von Kenji Katagiri wären auch würdige Preisträger in dieser Hinsicht gewesen. Den Nippon Visions Audience Award sicherte sich Seiji Tanaka mit seiner zwischen Gangster- und Slackermovie angelegten Geschichte um die bizarre Verbindung von zwei Arbeitskollegen in einem Badehaus: der eine Auftragskiller, der andere gerade von der Uni abgegangen und aufgrund keines besseren Jobangebots hier gelandet.
Die Jury entschied sich für Sea von Kensei Takahashi als Preisträger und für einen wesentlichen ernsteren Film über einen jungendlichen Außenseiter, der eine Vergewaltigung einer Klassenkameradin in der Schule beobachtet und Jahre danach erneut mit der Situation konfrontiert wird.
Den Doc Award gewann Ian Thomas Ash für Sending Off, einem Film über ein Hospiz auf Rädern.
Hirobumi Watanabes Life Finds A Way knüpft an sein Debüt And The Mud Ship Sails Away an. Lakonisch, schwarz-humorig wird der vermeintlich unaufgeregte Alltag des Protagonisten beschrieben, der scheinbar keine größeren Ambitionen hat, außer Weggefährten den einen oder anderen Seitenhieb auszuteilen und unter einem saftigen Kreativstau leidet. Diesesmal ist der Außenseiterheld Watanabe selbst: Die Tage vertrödelnd, seine Umwelt mit Monologen nervend und anstatt an seinem neuen Film zu arbeiten, vor dem Fernseher und der Fußball- WM versackend, bleibt er mit diesem selbst-ironischen Film seiner Linie treu. Zweifellos in der Tradition von US-amerikanischen Regisseueren wie Jarmush oder Korine stehend, ist er hier um einiges bissiger – und vor allem komischer – als seine in die Jahre gekommenen Vorbilder.
Vom Skip City – Festival, das in Saitama seit 2004 stattfindet und sein Programm jungen Talenten widmet konnte man zwei starke (Kurzfilm-) Beiträge sehen, die Frauenfiguren in den Mittelpunkt stellten. Who Knows About My Life von Teppei Isobe und She Is Alone von Akiko Ashizawa, das ein beunruhigendes Bild vom Schulwesen in Japan heraufbeschwörte, wo Suizidversuche, Selbstverletzungen, Erpressung und Manipulation an der Tagesordnung sind.
And Your Bird Can Sing von Sho Miyake, eine im sommerlichen Hokaido angesiedelte Dreiecksgeschichte, überzeugte durch die starken Schauspielerleistungen: die federleichte, trotzdem mit einer Prise Melancholie unterlegte Geschichte nach einem Roman von Yasushi Sato handelt von drei Mittzwanzigern, die versuchen, den Leistungsdruck und die Erwartungshaltung der Gesellschaft noch etwas aufzuschieben. Anstatt Karriere zu machen, ziehen sie lieber durch die Clubs, verlieben sich und halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Blue Hour von Ryuto Kondo ist ein weiterer sympathischer Film über zwei Freundinnen, die im Japan von 2019 versuchen mit langweiligen Jobs, Beziehungskrisen und das – glücklose – Verdrängen der Vergangenheit und Herkunft zurande zu kommen. In einer spontanen Reise aus dem Moloch in die Provinz zu ihrer Familie wird Sunada von ihrer Freundin begleitet und in ihr Leben, von dem sie vielleicht einst geflüchtet war, zurückkatapultiert. Eine hübsche Momentaufnahme und eine Geschichte, die auch sonstwo in der Welt hätte angesiedelt sein können.
Kazuya Shiraishi widmet Koji Wakamatsu, einem, neben Masao Adachi und Haruhiko Arai, der wichtigsten Außsenseiter und Undergroundfilmer, die sich zwischen Trash und politischer Agitation bewegten, der Sechziger in Tokio, seinen neuen Film Dare To Stop Us. Erzählt wird das alles alerdings aus der Sicht vom Megumi, eine der wenigen Frauen im Business, die sich die Anerkennung im Männerbund hart erarbeiten musste (und sich aufgrund einer Schwangerschaft suizidierte).
Kosai Sekine, geboren 1976, ist ein vielseitiger Regisseur. Neben Werbefilmen und Musikvideos widmet er sich dem Dokumentarfilm und neuerdings dem Spielfilm. Tower of The Sun, das anlässlich der Weltausstellung von 1970 in Osaka erstellte Kunstwerk von Taro Okamoto dient dem ehemaligen Philosophiestudenten Sekine als Ausgangspunkt zu einem filmischen Essay über die Geschichte und Kultur Japans. Durch Interviews mit Künstlern und Geisteswissenschaftler nähert er sich dem Schaffen Okamotos an.
In seinem beklemmenden Langfilmdebut Love At Least thematisiert er die in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängte und drastisch zunehmende Anzahl von Menschen, die psychisch erkranken. Am ehesten werden Depressionen, Psychosen und eine Unkompatibilität mit der ständig zunehmenden Leistungsdruck mit Metaphern des Übersinnlichen und Spukhaften erklärt. Der instabilen, hypersenssiblen Yasuku – und auch, wie sich herausstellt, ihrem scheinbar funktionierenden Freund/Weggefährte Tsunaki – gelingt es nicht die an sie gerichteten und ihren eigenen Erwartungen gerecht zu werden. Die Versuche können nur in einer Eskalaltion und dem Abbruch der Beziehung zur Außenwelt enden.
Ripples
February 27th, 2019
Black To Comm – Seven Horses For Seven Kings
Alexander Tucker – Don’t Look Away
Schweres Geschütz fährt Marc Richter auf seiner neusten Black To Comm – Veröffentlichung, der ersten für das Chicagoer Label Thrill Jockey, auf. Als hätten die Dronemaster von Sunn O >>> ihre Hände mit im Spiel gehabt und einen dunklen Nachhall hinterlassen, geht es hier richtig zur Sache.
Fanfarenstöße, martialische Lärmwände und industrial-ähnliche Drums und Beats ballen sich zu beunruhigenden Drones zusammen und steigern sich zu Crescendos, nur um dann wieder zu implodieren. Trotz allem Materialaufwand wirkt Marc Richters Musik in seiner Struktur aber immer noch songartig und erzählend. Man könnte Seven Horses For Seven Kings als Statement zur misslichen Weltenlage sehen, andererseits, blau, sehr blau war schon immer die bevorzugte Grundstimmung der Black To Comm – Welt. Die Songs sind auf dem neuesten Opus so komplex verschachtelt, dass man Gefahr läuft, die feineren, stilleren Nuancen ersteinmal zu überhören. Richters andere Seite, die man z.B. von Alphabet 1968 kennt und die in subtileren Bereichen des Ocean of Sounds fischt, ist nämlich nicht abhanden, nur etwas verschüttet gegangen. Alphabet 1968 von 2009 z.B. war ein erklärtes persönliches Album und hatte unter anderem das Aufwachsen im Schwarzwald in den 1970ern zum Thema. Mit dem warmen Grundton und dem Talent Gesprächsfetzen, Außenaufnahmen, melancholische Klavierakkorde, Schallplattensamples, akustische und elektronische Instrumente usw. in einer fesselnden Weise miteinander zu verbinden, stieß er mit seiner Musik durchwegs auf ein positives Echo und fand seine spezifische Handschrift.
Bei Seven Horses For Seven Kings, das über einen längeren Zeitraum in Hamburg und auch im InaGRM – Studio in Paris produziert wurde, kämpft man sich durch schwere, zähe Soundwelten, visuell analog zu der Geisterfratze auf dem Cover von Andreas Diefenbach. Plötzlich steht der Rhythmus und nicht mehr das Dahinfließen in verschieden Schichten der Musik im Vordergrund. Von droneartigen, brutzelndenden Soundgebilden nahe am Weltenabgrund über dramatische, bombastische Filmmusiken, von desolaten, einsamen Pianoeinlagen über psychedelisch verdrehte Albträume, von einer geisterhaften Spiel mir das Lied vom Tod – Referenz a là Forest Swords über einen atonalen Zusammenprall von technoiden Perkussion- Samples und einer Chor/Stimmeinlage aus der Neuen Musik ist hier alles möglich. Die Platte endet mit einem melancholischen, meditativen Travelogue durchs Bewußtsein in einer post-apokalyptischen Ruhe. Wie gesagt, schwerer Stoff.
Der unwiederbringlich von der englischen Folkmusik und seinen psychedelischen Exkursionen beeinflusste Alexander Tucker, verbindet seine Vorlieben für aus dem Ruder laufende und in dronige Verzweigungen abweichende Stücke auf seiner neusten Platte zu einem fast klassisch anmutenden Songzyklus.
Eigentlich aus dem HC-Punk kommend und auch stark mit der Comicszene in London verbunden – selbstverständlich zeichnet Tucker sich auch für die Covergestaltung verantwortlich – entdeckte er ziemlich bald die experimentelleren Varianten des britischen Folk-Acid-Undergrounds. Die frühen Solo-Alben wie Furrowed Brow oder Old Fog mischten auf unnachahmliche Weise das nostalgische Flair der traditionellen britischen, sprich englischen, Musik mit einem unwirklichen, unheimlichen Unterton und einem Gespür für eingängige Songs. Mit seelenverwandten Grenzgängern wie Richard Youngs oder Sharron Kraus steht Tucker seit der Jahrtausendwende für diese gleichzeitige Rückbesinnung und Gegenwärtigkeit.
Zusammen mit Daniel O’Sullivan bekleidet er außerdem ein, mit Versatzstücken des subversiv-esoterischen (Electro-) Pop-Underground herumspielendes Projekt, Grumbling Fur. Mit einer idiosynkratischen Mischung aus eigenen Ideen und (unterstellten) Hommagen an die Musikgeschichte – Boards of Canada, Current 93, Fad Gadget – begeben sie sich auf den Pfad des immer leicht versponnenen, immer angenehm schrägen englischen Undergrounds, White Magic sozusagen. Auch Kooperationen mit u.a. Stephen O’Malley stehen in seiner künstlerischen Vita.
Don’t Look Away, seiner ersten Solopltatte seit 2012, merkt man durchaus an, dass Tucker nun auch für diverse Auftragsarbeiten, z.B. für das Zürcher Schauspielhaus arbeitet, so kohärent und auf den Punkt gebracht hat man seine Einflüsse aus Folk, Kraut, Drone und Pop noch nicht gehört. Warmer Gesang, Gitarren, Orchesterarrangements, und selbst eine Gastsängerin wie Nik Void, die eher für die Avantgarde steht, gliedert sich in diesen, beinahe zeitlosen, Reigen schöner Musik ein.
Ripples
November 17th, 2018
Cândido Lima – Oceanos
Telectu – Belzebu
Dwart – Taipei Disco
Unter den in Portugal, inzwischen auch im Bereich der experimentellen Musik, zahlreich gewordenen Festivals, hat sich das Outfest in Barreiro einen besonderen Stellenwert erworben. Seit 2004 veranstaltet das kleine Team in der ehemaligen Industriestadt, die sich nach langem wirtschaftlichen Niedergang gerade wieder neu erfindet, auf der südlichen Seite des Tejo außergewöhnliche Konzerte im Oktober.
Die zum größten Teil noch nicht luxussanierte Industriearchitektur ist ein Glück für die nach besonderen Spielstätten suchenden Organisatoren und die Hörerschaft. Hipster und Poser sucht man unter den in der Stadt sich ständig von einem Ort zum anderen bewegenden Publikum beinahe vergeblich, die bleiben in den aus dem boden sprießenden Barbershops und schwedischen Kaffeeketten in Lissabon unter ihresgleichen. So richtet sich das Outfest an Neugierige, die sich entweder gleich in Barreiro einquatiert haben oder den Weg mit der Fähre von Lissabon als romantische Zugabe, mit dem Risiko die letzte Fahrt zu verpassen, sehen.
Dieses Jahr konnte man sich hinsichtlich der einheimischen Außenseiter auf den neusten Stand bringen: Der Perkussionist und Klangartist João Pais Filipe zum Beispiel oder die “Supergroup” Toda Matéria – Joana da Conceição von Tropa Macaco, Maria Reis von Pego Monstro, Sara Graça und Sara Zita – Nídia, schräger Cutting – Edge Dancefloor , die auf den Spuren von Delia Derbyshire wandelnde Clothilde, Rafael Toral, die uneinsortierbaren HHY & The Macumbas gaben sich neben internationalen Künstlern wie Burnt Friedman, Lea Bertucci oder Jimi Tenor dieses Jahr die Ehre. Und, nicht zuletzt, die Legenden Telectu und Cândido Lima.
Ohne auf die gerade im elitären Zirkel der Neuen Musik wichtigen Kontakte und Verbindungen zählen zu können, arbeitete der agile, inzwischen achzigjährige und höchstens wie sechzig aussehende, Cândido Lima als eine Art Bildungsbeauftragter für das Radio und Fernsehen und als Lehrer für Musik an diversen Universitäten. In Braga und Porto studierte er neben Piano und Komposition auch Philosophie und Humanwissenschaften. Dass er später auch Kurse bei Xenakis und Gilbert Amy belegte, wird nicht an die große Glocke gehängt und dass er als Vertreter der Neuen Musik in Portugal in den 1970ern praktisch ein Solitär war und bis heute geblieben ist, ist für ihn nur ein Nebendetail.
Umso schöner, dass sein zentrales Werk Oceanos (Grama) vor kurzem eine Wiederveröffentlichung erfahren hat und im Auditorium der Bibliteca Municipal nun auf Zuhörer mit offenen Ohren stieß. Das spät-modernistische elektroakustische Werk von 1979 kann auch heute noch begeistern und ist, wenn nicht von einem gänzlich zeitlosen Charakter, so doch ein Zeitdokument aus einer Ära, als man trotz Fragen und Problemen ähnlicher Größenordnung wie heute, den Blick noch nach vorne richtete.
Als sich einige Jahre nach dem 25. April 1974, mit etwas Verzögerung gegenüber dem westlichen Europa, nach und nach eine Rockmusikszene in Portugal entwickelte, partizipierten Jorge Lima Barreto und Vítor Rua für kurze Zeit in der aufstrebenden Band GNR, nur um dann einen deutlich radikaleren Weg einzuschlagen (mit Alexandre Soares begab sich noch ein weiteres Mitglied von GNR auf Abwege und gründete mit Ana Deus 3 Tristes Tigres).
Das erste gemeinsame Album von Barreto und Rua als Telectu – das Debut war eine Soloplatte von Rua – gilt als Pionierwerk der elektronischen, vom Minimalisums beeinflussten Musik in Portugal und war lange Zeit vergriffen; die CD-Wiederveröffentlichung auf Ananna 1991 ist auch nicht mehr erhältlich. Später tendierte die Band, die von 1982 bis 2002 existierte, in eine jazzigere, NY-Downtown – Richtung, aber Belzebu klingt auch heute noch wie wenig anderes. Zu Beginn der 1980er Jahre ließen sich auch die großen portugiesischen Städte nach Jahren der Quasi-Isolation während der Diktatur mit einem Schlag von den Subkulturen und Szenen, vor allem den britischen, inspierieren und in Lissabons Bairro Alto entstand ein reges Nachtleben. Der Kleiderladen Cliché hatte plötzlich auch die Ambition Platten zu veröffentlichen und trat mit Lima Barreto und Rua in Kontakt (die anderen Veröffentlichungen der kurzen Ära als Label waren Lizenzen von Ana da Silva (Raincoats), Young Marble Giants, David Thomas, Pigbag und Material.
Die jetzige Neuauflage des Albums, die mit einer Bonus-CD der ursprünglich angedachten Version von Belzebu, die nur aus einem durchgehenden, flirrenden, oszillierenden Ton bestand, ist auf dem neuen Label des Plattenladens Flur Holuzam (nachdem man mit dem Dancefloor-orientierten Príncipe Discos und Cutting-Edge – Künstlern wie Nídia sich schon einen Namen machte) erschienen. Auf der in Sessions entstandenen zweiten, der Vinyl- Version von Belzebu hört man den Ton immer noch im Hintergrund, die Musik stößt aber in andere Bereiche vor: treibende Synthesizer- und Gitarrenkaskaden, filigrane, melancholisch aufgeladene Einschübe und Einflüsse aus der nicht-westlichen Musik, wie man sie später, in Verbindung mit abstrakter elektronischer Musik, auch bei anderen portugiesischen Künstlern wie Nuno Canavarro und Vítor Joaquim hören konnte. Beim Outfest präsentierte Vítor Rua das Album zusammen mit António Duarte, der den Part des verstorbenen Jorge Lima Barreto übernahm. Weitere Auftritte sind geplant.
Der selbige António Duarte nahm Ende der1980er Jahre, als er als Expat in Hongkong und Macau lebte und an den freien Wochenenden auch in das inspirierende Chaos der nächsten chinesischen Großstadt Guangzhou eintauchte, ständig Material mit seinem portablen DAT-Gerät auf. Taipei Disco ist eine Hommage an ein zum Nachtclub umgeformtes Kino, das kantonesischen und westlichen Pop spielte. Die beiden Versionen – Studio und live – von Taipei Disco mit ihren von einer Rhythmusbox und Synthieschlaufen geprägten Sound, klingen wie Vertreter der experimentellen deutschen Welle; unterkühlter, motorischer Wave. Das dritte Stück – Red Mambo – wurde mit excellenten Musikern der caboverdianischen Band eingespielt und hat dementsprechend einen jazzigen, afrikanischen Touch.
Ripples
November 4th, 2018
Keyed Out:
Simon Fisher Turner & Klara Lewis – Care
Tim Hecker – Konoyo
Der musikalische Werdegang Simon Fisher Turners ist hinlänglich bekannt – Popstar/Glamrock-Ambitionen in der Adoleszenz, Filmkomponist unter anderem für Derek Jarman, das Ambient-Song – Projekt Deux Filles mit Colin Lloyd Tucker und zahlreiche Soloplatten, die stilistisch von subtiler Montagemusik zu new wavigen ätherischen Neo-Klassik reichen. Aller Musik Fisher Turners ist eine leichte wie gleichzeitig tiefgründige Note eigen, ob das Konzept im experimentellen oder songorientierten Gebiet angesiedelt ist, spielt da nicht wirklich eine Rolle.
Der Entdeckergeist steckte schon immer in ihm: Mit fünfzehn alleine aus der Provinz nach London aufgebrochen, fand er eine Stadt im kulturellen Umbruch vor. Alles passierte zur gleichen Zeit statt und als neugieriger Mensch versuchte sich Simon Fisher Turner sowohl als Schauspieler, Radioproduzent, Musiker und vieles mehr. Letztlich, so Fisher Turner, rettete ihn die Musik vor all den Gefahren und Abgründen, die solch ein unsteter Lebenstil mit sich bringt. Hinsichtlich des Komponieres ist er ein “Manicac” geblieben, äußert in einem Interview für die französische Zeitschrift Mouvement. “Ich achte ständig auf meine Umgebung mit großen Ohren. Alles in meinem Leben, außer meine Kinder, ist zufällig. Die Aufnahmen aus der Umwelt schlummern oft für Monate in meinem Archiv, bevor ich sie dann eventuell als Basismaterial für Stücke verwende.” Die Ambition, Schauspieler zu werden, hat er aufgegeben, aber als Komponist interessiert ihn weiterhin stark der visuelle Aspekt. Ohne die Freiheit, die er für das Komponieren für die Filme von Jarman oder Tilda Swinton hatte, verachtet er allerdings den Job als Filmkomponist im Mainstreamkino und kreiert stattdessen lieber die Soundtracks für klassische Filme für das British Film Institute.
Klara Lewis, die Tochter von Graham Lewis, dem Wire – Gründungsmitglied, ist und durch zwei aus dem Elektronik – Drone-Sumpf herausstechende Platten, die trocken-subtile elektronische Kompositionen für imaginäre Tanzensembles suggerieren, postitiv in Erscheinung getreten.
Mit Fisher Turner und Lewis haben sich also zwei seelenverwandte Klangkünstler aus verschiedenen Generationen gefunden, die mit Care ein erstes gemeinsames Ausrufezeichen setzen: Bei den vier dramaturgisch sehr unterschiedlichen Stücken der Platte treffen die harschen Brüche und aufgerauten Klangflächen von Lewis auf die surreal-melancholischen Miniaturen Fisher Turners, die als Intermezzo oder parallel eingeflochten sind: Eine Klavier-oder Gitarrenmelodie, Außenaufnahmen, Gesprächsfetzen…Die Quellen, die Klangskulpteure also gerne verwenden, deren Komposition und Arrangement aber die grosse Kunst darstellt. Immer unterwegs, zwischen Bombay und Kyoto, zwischen London und Sao Paulo, reagiert Fisher Turner auf seine Umgebung, filtert und nimmt auf, Material, das er dann zu geisterhaften Melodien, verhuschten Miniaturen und pulsierenden Drones montiert. Klara Lewis arbeitet auch visuell und ihre doppelbödigen Stücke, die zwischen schroff, melodiös und kaum wahrnehmbar, subaquatisch und im verloren im Kosmos, pendeln, sind eine facettenreiche und willkommene Alternative zum, einerseits immer noch omnipräsenten Gehabe der männlichen Hipster-Laptopartisten und, andererseits, hinsichtlich der musikalischen Qualität. Zwischen Klanglabor und Natur, organisch und elektronisch und oftmals ineinander verschmolzen entsteht so wunderbar-dynamische Musik, die dazuhin die irgendwo mitschwingende viuselle Komponente in sich trägt.
Die neueste Produktion des kanadischen Musikers Tim Hecker, der immer schon die Ambition hatte, die Grenzen, sowohl der populären wie avantgardistischen elektronischen Musik auszutesten und zu überschreiten, gab im für zeitgenössisch Herausforderndes bekannten Kulturtempel Culturgest im Herzen der Avenidas Novas in der portugiesischen Hauptstadt den Startschuss für die neue Spielsaison. Für Konoyo tat er sich außer mit der Weggefährtin Kara-Lis Coverdale mit Musikern von Tokyo Gakuso, die gerade ihr vierzigjähriges Bestehen feiern konnten und Spezialisten für die traditionelle japanische Hofmusik Gagaku sind, zusammen.
Gagaku, die aus China vor 1200 Jahren adaptierte und der japanischen angepasste Musikform, wird bis heute am kaiserlichen Hof und in shintoistischen Kultstätten gespielt und kann sowohl Liedkunst, Instrumenalmusik wie Tanzmusik sein. Gagaku wird sehr langsam gespielt. Die Melodie wird hauptsächlich von der Stimme und den Blasinstrumenten getragen. Der Rhythmus wird nach bestimmten Mustern gespielt. Diese sind vorgegeben und können nicht geändert werden. Die Saiteninstrumente fungieren als Bindeglied zwischen Rhythmus und Schlaginstrumenten. Die Magie des Gagaku liegt in der Einzigartigkeit der Spielweise, die die Melodie über die Klänge des shō trägt. Die Musik der Shinto ist meistens gesungen und nur durch wenige Instrumente unterstützt. Sie bilden die einfachsten Kompositionen. Die auftretende Asymmetrie der Melodien ist in dieser Form absolut gewollt. Es scheint, als das die Musik ziellos und langsam und ornamenthaft um sich kreisen würde. Letztlich war sie darauf angelegt, den Alltag am Kaiserhof die komplexe Schönheit der Natur widerzuspiegeln.
Die, wenn auch komplexe Einfachheit, die die Musikform des Gagaku, auch der rein instrumentalen Variante voraussetzt, ließ Hecker bei seinen Recherchen und Zusammentreffen mit dem Ensemble auch seine gewohnte Arbeitsweise überdenken: Anstatt seine Musik zu verdichten und Layer über Layer auf seinen Computer zu schichten, hören wir live und auf dem Album (Kranky) manchmal nur eine einsame Synthesizermelodie, die wie in Zeitlupe vor sich hin zu dümpeln scheint, aber dann beim subtilen Einsatz des meisterlichen Konoyo Ensembles zu einem Stück von in sich ruhender, fragiler Schönheit wird. Und doch ist hier selbstverständlich nichts simpel. Die düstere Musik scheint tonnenschwer wie ein Monolith im Raum zu stehen und, wenn man diese Metapher weiterdenken möchte, verschiebt sich nur milimeterweise: ein Sog, den man sich nicht entziehen kann.
(Foto: copyright Vera Marmela/Comunidade Cultura e Arte)
Kara-Lis Coverdale zeichnete sich für die Ouvertüre verantwortlich, ihr kosmischen Ambientsynthesizerschlaufen wirkten etwas langatmig, aber ergaben im Kontext zum Hauptprogramm durchaus Sinn. Auf der Bühne standen dann für das Hauptprogramm neben ihr (Synthesizer, Computer) Tim Hecker (Elektronik, Computer), Motonori Miura (Hichiriki), Manami Sato (Ryuteki) und Fumiya Otonashi (Shõ). Das Thema – ein trüber Novermbermorgen – wurde vom Bühnenbildner entsprechend düster umgesetzt: Hinter sehr vielen Rauchschwaden und in rotes Licht getaucht, waren vom Ensemble praktisch nur die Konturen zu erahnen.
Bis zum Schluss des Konzerts hat man die Musiker zwar immer noch nicht wirklich zu Angesicht bekommen, fühlt sich aber in den Innenhof einer japanischen Kultstätte und dessen streng-perfektionistisch angelegten Garten hineinversetzt: Man fröstelt leicht und hat seine Sinne geschärft. Das Zusammenwirken von der traditionellen Musik von Konoyo, die, um es zu erwähnen, sich auch für eine Erneuerung des Gagaku verantwortlich zeichnen und elektronische Spielformen funktioniert sehr gut, auch weil die Grenzen und Unterschiede praktisch nicht mehr auszumachen und zu etwas Neuem geworden sind; ein Verdienst der hervorragenden Musiker.
Ripples October 2018
October 24th, 2018
Memories Live Longer Than Dreams: ÈLG, Köhn, Red Brut
Die Holländerin Marjin Verbiesen, der Belgier Jürgen de Blonde und der Franzose Laurent Gérard konstruieren ihre Musik wie Tagebücher, die freilich schon halb zerschreddert sind: im Sinne des Post-Post-Modernismus sind die Stücke oft nur von verblasster Natur, teilweise konkret, dann wieder so heftig collagiert und mit anderen Elementen überlagert, dass die Wahrnehmung nur eine fragile und brüchige Annäherung an die ohnehin zweifelhafte Realität sein kann.
Laurent Gérard, der als Musiker und Künstler unter dem Namen ÈLG sein Unwesen treibt, ist in Metz aufgewachsen, studierte in Lausanne und fand dann seinen Weg über Paris nach Brüssel; eine fragmentierte Stadt, die seinem Naturell offenbar perfekt entspricht. “Ich mag disparate Dinge, überschreite Grenzen, ein bißchen wie eine Form von Schizophrenie.” So diagnostisch wie präzise beschreibt es die Musik seiner neuen Platte Vu du Dôme. ÈLG kann sich da noch weniger als bisher entscheiden, ob er sich in einem Studio für Elektroakustik vergraben oder doch lieber den verführerischen Chansonsänger geben soll. Beides findet bei Gérard parallel statt und lässt eine nervöse, aus dem Ruder gelaufene Kakaphinie entstehen, die für diejenigen unter uns, die von einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne und schnellem Gelangweiltsein geplagt sind, Balsam ist. Nach diversen Projekten, u.a. mit seinem Jugendfreund Damien Schultz, Opéra Mort und Reines D’Angleterre – für letzteres arbeitete er mit Chédalia Tazartès für zwei Alben zusammen, der als eine Art seelenverwandter Ziehvater betrachtet werden darf und selbst nach Jahren des Schweigens von einer jüngeren Generation wieder Aufmerksamkeit erfährt – findet ÈLG auf seinen Soloveröffentlichungen immer mehr zu seiner eigenen Sprache. Anknüpfend an Tout Poie (Kraak) hören wir wieder die verführerische Mischung aus radikaler Tapemusik, abgefahrener Elektronik und eine dekonstruierte Form des französischen Chansons. “Das ist für die einen zu experimentell, für die anderen zu zugänglich”, so ÈLG. Gérard möchte aber die “Arroganz der intellektuellen Eliten” unterwandern und das mit einem Augenzwinkern. Auf fünf Stücken unterwandert Catherine Hershey die knorrige Vokalkunst Gérards mit einem Touch lässiger Eleganz.
Jürgen de Blondes Platte – Kreis Plön -, die schon 2017 erschienen ist, handelt von ” Vergangenheit und Zukunft, Trennung und Wiedervereinigung, vom Trauern und Jubeln, vom Krach und Frieden”, so die Linernotes. Als Fantasiename für seine erste Veröffentlichung vor zwanzig Jahren ausgedacht, um für seine elektronische Musik ein irgendwie deutschklingendes Wort – “denn elektronische Musik war für mein Verständis deutsch”, zu finden, stellte sich heraus, dass Köhn sowohl ein nicht ungewöhnlicher deutscher Nachname ist und dass der Ort Köhn tatsächlich in Norddeutschland existiert. Ausserdem ist keun bzw. Köhn ausgesprochen flämischer Slang. Und so lösen sich auf Kreis Plöhn die Grenzen zwischen Imagination, Wahrnehmung und Erinnerung wunderbar auf: Die Sozialisierung in Brügge, Feldaufnahmen von Kröten, die Vertonung von Inauguration of the Pleasuredom, das Entdecken der technischen Möglichkeiten in seiner Musik. Zwischen Wohnzimmeraufnhamen und Schnipseln von Liveauftritten, zwischen Feedbackexzessen und bad drugs, zwischen sanfter Melancholie, stolpernden Tanzbodenrhythmen und Shoegazing hat der Verstand ausreichend Möglichkeiten sich zu verlieren. Und doch hält Jürgen de Blonde aka Köhn das Ganze für uns irgendwie zusammen.
Sozialisiert in Rotterdam und durch die Mitwirkung in verschiedenen Bands wie Sweat Tongue (wo sie Schlagzeug spielt und singt) und JSCA, die stark von der No New York- Szene der 1980er beinflusst sind, auf den Geschmack gekommen, beschreitet Marjin Verbiesen auf ihren Solopfaden als Red Brut ganz andere musikalische Wege. Wie eine anarchistisch-freie Form von Musique concrète klingen ihre faszinierenden verschwurbelten Toncollagen. “Die Musik ist eine Sammlung aus allem, was ich sehe, höre und fühle”, so Verbiesen. Bei Liveauftritten wie beim diesjährigen Kraak-Festival in Brüssel hat ihre Musik einen improvisierten Charakter. Ihr Fundus vorgefertigter Tapes kombiniert und mischt sie mit verschiedenen Tapedecks je nach Stimmung und spontaner Dramaturgie. Das Rohmaterial ist oft organischer Natur – Alltagsgegenstände, Aufnahmen von Plätzen oder Orten in der Stadt, vorbeifahrende Züge, aber auch Melodien, auf verschiedenen Instrumenten (Gitarre, analoger Synthesizer?) gespielt tauchen auf und Marjin Verbiesen setzt auch ihre Stimme ein. Die große Kunst der sieben Stücke auf dem Red Brut – Debut ist die Dynamik der Kompositionen. Musik, die so facettenreich ist, dass man beim Hören immer wieder Neues entdeckt. Direkt, roh und subtil driften und stolpert die Musik, um doch von manigfaltigen Rhythmen, schleifend und verhallt, zusammengehalten zu werden, bevor sie dann, psychedelisch-verzerrt, wieder einen ganz anderen Weg verfolgt.
ÈLG – vu du dôme (Gravats)
Köhn – Kreis Plön (Kraak)
Red Brut – Red Brut (Kraak)