Kankyo Ongaku / Vanity Records
March 31st, 2020
Kankyo Ongaku / Vanity Records
Die Olympiade in Tokio 1964 bringt Japan zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg und der Katastrophe des US-amerikanischen Atomschlags in positiver Weise zurück auf die Weltbühne. Diejenigen, die schon über ein Fernsehgerät verfügen, können sich neben den sportlichen Wettbewerben auch sprichwörtlich ein Bild davon machen wie sich der Moloch Tokio vom Trümmerhaufen beim Kriegsende zur modernen Metropole neu am erfinden ist.
Die Brachflächen und Lücken im Stadtbild schließen sich Stück für Stück und die Metropole verdichtet sich zu dieser gleichermassen hässlichen wie endlos faszinierenden Mischung aus gesichtslosen
Zweck- neben Prachtbauten, Autobahnausfahrten neben Gassengewirr, breiten Einkaufsstraßen neben schwer zugänglichen Spezialitätenläden in den Hinterhöfen, Tempelanlagen und traditionellen Häusern. Aber die Stadt und das Land sollen auch mit avantgardistischen und visionären Gebäuden bestückt werden. So jedenfalls, wenn es nach den Plänen einer Architekten- und Designergruppe um Kenzo Tange gehen soll. Zur Aufbruchsstimmung passen auch die ikonischen roten Trainingsanzüge mit weissem Nippon-Schriftzug der japanischen Sportler. In den ästhetisch minimalistischen und reduzierten Filmen der japanischen Neuen Welle von Nagisa Oshima und vor allem Kiju Yoshida sind auch die Architektur und avantgardistische Spielformen der Musik wichtige Stilelemente.
Arata Izozaki, Toshiko Kato, Noboru Kawazal oder Kisho Kurokawa fühlen sich beflügelt unter dem Namen Metabolism ihre Ideen von einer modernen Architektur, die sich nicht an statischen, dafür an ständig sich verändernden organischen Strukturen orientiern sollen, gegen die Bedenken einer konservativen Bevölkerung, zu realisieren. Obwohl dann letzten Endes nur wenige Projekte tatsächlich verwirklicht werden – Kurakawas Nakagin Capsule Tower, der Hiroshima Peace Memorial Park oder das Yoyogi National Gymnasium – und viel mehr über Marxismus, Science Fiction und die Veränderung der Welt philosophiert und diskutiert als gebaut wird, beeinflussen die avantgardistischen Pläne von Metabolism auch Stadtplaner und andere Architekten. Das modernistische Juwel namens Hotel Okura oder Tara Okamotos Tower of the Sun zur Weltausstellung 1970 in Osaka sind da nur die leuchtesten Beispiele.
Die wegweisenden Vertreter der Neuen Musik stoßen in dieser Zeit in Tokio und Osaka ebenfalls auf positive Resonanz mit ihren Vorstellungen von zeitgemäßen Kompositionen. Legendär sind die Aufnahmen von den John Cage Tagen – John Cage Shock! – 1961 und 1962, die außer Werken von Cage selbst, Stockhausen, Michael von Biel, Christain Wolff und den japanischen Pionieren Toshi Ichiyanagi und Toru Takemitsu präsentieren.
Die unakademische, aber nicht minder gebildete Underground-Szene zeigt sich außer von den Neutönern in den 1970ern von Brian Enos Ambientalben und dem schrägen Humor Erik Saties, der neben der Schönheit seiner Musik auch mit der Funktionalität der Kunst spielte, z.B. Music For Furniture, inspiriert.
Kuniharu Akiyama veranstaltet zusammen mit seiner Frau Aki Takahashi, beides aktive Künstler der Fluxus-Bewegung, 1975 in Shibuya eine Konzertserie mit Werken von Erik Satie, die in Insiderkreisen sehr angesagt sind und noch Jahre später junge Musiker beinflussen. So berufen sich die unterschiedlichsten Musiker auf Satie und abstrahieren dessen künstlerischen Ansatz – z.B. die legendäre Frauen – New Wave- Band Saboten: Floor et Satie ist eine brilliante, “tongue in cheek” – Hommage an den französischen Visionär des Skurrilen.
Akiyama selbst komponiert schon für die Olympiade 1964 ein Stück, das als Blueprint für die in den 1980ern in Japan populären werdenden Environmental Music gilt. Cage und Satie passen mit ihren Konzepten von Zen, Funktionalität und Innehalten durchaus gut in die japanische Edo- Tradition und zur kaiserlichen Hofmusik Gagaku.
In einer vom Wirtschaftswunder beflügelten Gesellschaft entdecken in den 1980ern selbst große Auto- und High Tech-Firmen ihre Ader für die (abseitige) Kunst und vergeben Auftragsarbeiten an Avantgardemusiker, Designer und Künstler, um Werbespots zu gestalten. Hintergrundsmusik, die in modernen Museen oder öffentlichen Bauten bis zu Departmentstores verwendet wird, hat Konjunktur und musikalisch futuristische Ideen sind nicht nur im Konzertsaal angesagt.
Das vom amerikanischen Light In The Attic-Label veröffentlichte Album Kankyo Ongaku – Japanese Ambient, Environmental & New Age Music 1980-1990 kompiliert nun Stücke aus dieser merkwürdigen Phase der scheinbar grenzenlosen Freiheit des musikalischen Ausdruck. Das Doppel-Album enthält Stücke von unter anderem so unterschiedlichen Musikern wie Satoshi Ashikawa, der an Kunst und Design und der Diskrepanz zwischen modernem Lebenstil und der japanischen traditionellen Verbindung zur Natur, interessiert war, dem der Minimal Music verbundenen und für Anime-Soundtracks bekannten Joe Hisaishi, dem aus der Prog-Rock-Szene entsprungenen Masashi Kitamura, der Pianistin Shiho Yabuki, die Tradition mit modernem Synthesizer-Equipment verbindet, dem Tausendsassa Yasuaki Shimizu, der auch eine legendäre LP für die Made To Measure – Serie von Crammed Discs veröffentlichte und nicht zuletzt vom Yellow Magic Orchestra. Heute befinden sich Musiker wie Midori Takada, Hiroshi Yoshimura oder Yasuaki Shimizu überraschenderweise wieder auf der Höhe der Zeit und tragen den Geist, Schönheit, Abstraktion und Vision im Sinne eines künstlerischen Außenseitertums zu vereinen, wunderbar weiter.
Gar nichts mit funktionaler Musik hatte Agi Yuzuru am Hut. Als Herausgeber der legendären japanischen Musikzeitschrift Rock Magazine und Betreiber des enorm einflussreichen, aber ganz im Geist des (Prä-) Punk, kurzlebigen Vanity Records Label (1978-81) kommt es einer kleinen Sensation gleich, dass die von Liebhabern der japanischen Außenseitermusik oft vergeblich gesuchten LPs, Singles und Kassetten nun als Boxen wieder verfügbar sind. Bitter nur, dass Agi Yuzuru vor der Veröffentlichung des mehrere Jahre erarbeiteten Projekts verstarb. In den 1960ern war Agi Yuzuro selbst ein leidlich erfolgreicher Popsänger in Japan, fand aber das Business widerwärtig und versuchte sich – wesentlich erfolgreicher – als Radiomoderator. Im höchst empfehlenswerten Buch von Kato David Hopkins über die japanische Indie-Musik von 1976 – 1989 Dokkiri (Public Bath Press) erzählt er im Interview, dass er seine Sendung sogar völlig selbständig zusammenstellen konnte – unvorstellbar heutzutage – und diese entsprechend mit abseitiger Musik füllte. Als Anhänger der britischen und deutschen Avantgarde-, Prog – und Elektronikbands war er selbstredent auch stark von Brian Enos Ambient-Alben beeindruckt.
Er war wohl der erste, der diese Musik dem aufgeschlossenen Teil des japanischen Publikums nahebrachte. Inspiriert von den britischen Weeklys startete er dann mit Rock Magazine 1976 auch eine Zeitschrift, die eine andere Form des üblichen PR-Musikjournalismus präsentieren sollte. Da er aufgrund seiner relativen Popularität und seines Musikbusiness – Know Hows auch die großen Firmen für Anzeigen gewinnen konnte, war ein Artikel über Lou Reed neben einem Inserat für die Bay City Rollers nicht unüblich. Japanische Musiker waren im Heft seltsamerweise kaum bis gar nicht präsent, erst das Aufkommen von Punk und New Wave und nach Besuchen in New York und London fand ein Umdenken statt.
Agi Yuzuru war weniger an der Attitüde und dem Stil von Punk und New Wave als an der Aufbruchstimmung und dem DIY-Gedanken interessiert. Die Gründung eines eigenen Labels und Idee von einer eigenständigen Szene in der Kansei Präfektur waren dann nur die logischen nächsten Schritte. Die ersten Veröffentlichungen auf dem Vanity-Label, Dada und SAB sind minimalistische, aber sphärische Ambient – Synth – Electronics – Platten, die ganz dem Geschmack des Labelschefs entsprachen und die damals, gerade weil sie sich nicht der aktuellen Mode unterwarfen, der Zeit voraus waren und heute immer noch frisch klingen. Und das sollte auch das erklärte Ziel für die noch kommenden Veröffentlichungen sein. Aunt Sally, die Band von Phew und Bikke, produzierte mit ihrem Debut im Grunde schon den Schwanengesang der noch kaum spürbaren Punks/New Wave-Bewegung in Japan. Immer schon einen Blick in die Zukunft werfend, war Phew nach der Auflösung der Sex Pistols, für die sie als Schülerin alleine nach London gereist war, klar, dass Punk schon Geschichte war. Die Band schlägt auf ihrem Album schon eine experimentellere, new wavigere Richtung ein – einige einschlägigen Coverversionenund gibt es als Zugabe.
Kurz danach löste Phew die Band auf, um sich der elektronischen Musik zu widmen. Agata Morio sprengt mit seiner Veröffentlichung auf Vanity Records ebenfalls das Label-Raster: Ein alternativer Folk-Sänger aus den Sechzigern, der sich aber nie von der Plattenindustrie hatte vereinnahmen lassen, zeigte sich auch auf diesem Album resistent gegenüber neuen Einflüssen. Phew und Morio waren auch die beiden einzigen Künstler, die neben der Großzahl der unbekannten oder anonymen Musiker der Platten so etwas wie Undergroundstars waren. Die anderen Veröffentlichungen: R.N.A. Organism aka Sato Kaoru und Sympathy Nervous dürfen sich auf die Fahnen schreiben, schon 1980 eine proto-elektronische-Tanzmusik kreiert und zuvor vielleicht schon mal von Cabaret Voltaire gehört zu haben; BGM und Sympathy Nervous experimentieren mit reduzierten Synthieschlaufen und Beats.
Yukio Fujimoto aka Normal Brains‘ Lady Maid ist eines der ungewöhnlichsten Alben des Labels. Beeinflusst von Stockhausen, Cage, Cluster bis zu Bowie entdeckte er wie manch anderer in Japan den Korg MS 20 – Synthesizer. Hier komponierte er für die erste Seite Cutting Edge Wave-Electronic – Songs, die durch eine billige Sprechcomputerstimme an Schrägheit gewinnen, nur um die zweite Seite mit einer zwanzigminütigen meditativen Ambient-Komposition zu bestücken.
Die beiden Alben von Tolerance aka Junko Tang sind zwei weitere herausstechende Alben, die gut in die Ambient – Serie von Brian Eno gepasst hätten, insbesondere Anonym offeriert einen brilliant eklektischen Mix und eine Stilvielfalt zwischen klassischer, elektronischer Musik und Versatzstücken des Populären, die auch für das offene Vanity-Raster eher ungewöhnlich ist und die Spannbreite der Musikerin unterstreichen.
Die Wiederveröffentlichung des Vanity Records – Outputs umfasst eine Box mit den 11 Alben und Singles, eine mit 6 CDs, die die obskureren, nicht minder interessanten und nicht von der Labellinie abweichenden Tapes umfasst und ein Sampler mit 2 CDs, der, obwohl wieder andere Musiker als auf den Alben präsentierend und bewusst Verwirrung stiftend, die experimentelle Ausrichtung nochmals auf den Punkt bringt.
Ripples
November 9th, 2019
Pere Ubu – The Long Goodbye
Beim Méteo Festival in Mulhouse im August 2017 kommt David Thomas unsicher und mit Stock auf die Bühne und bestreitet das ganze Konzert auf einem Stuhl sitzend. Im Publikum ist jedem klar, dass es um die Gesundheit des Meisters nicht gut bestellt ist. Der Auftritt ist trotzdem energetisch und von gewohnter Perfektion und Professionalität. 20 Years In A Montana Silo, das damals aktuelle Album, darf als wütend-beißende Reaktion auf die USA Today interpretiert werden und verfeinert nochmals die Affinitäten der späten Pere Ubu: schräger Garagenrock mit einem psychdelischen Einschlag, fragile Balladen und Soundexperimente.
Danach, auf der ausgedehnten US-Tournee, wird David Thomas dann tatsächlich mit einem lebensbedrohlichen Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert und die Genesungsprognosen sind äußerst vage.
Nichtsdestotrotz wird Thomas nach Hause entlassen und ist in der Lage, in seinem Studio an neuem Material zu arbeiten; seine Art der Rehabilation. Für die Komplettierung der Songs lädt er die Bandmitglieder und einige Gäste ein. The Long Goodbye, frei nach Chandler, einem der Säulenheiligen Thomas, wird ein lyrisch ausgefeiltes und kurzgeschichtenartig aufgebautes Album und soll ein würdigs Schlußzeichen zu der über vierzigjährigen Bandgeschichte setzen.
Dann aber verbessert sich der gesundheitliche Zustand Thomas’ soweit, dass an eine Präsentation vor Publikum gedacht werden kann.
The Long Goodbye ist nicht nur aufgrund der schwierigen Bedingungen, unter denen das Album entstanden ist, einer der Höhepunkte im langen Schaffen der Band.
Einerseits knüpft es an die sympathisch-verschrobenen, introspektiven Solo-Alben der 1980er an; Monster Walks The Winter Lake und Blame The Messenger kommen einem da in den Sinn. Bekanntlich legte Pere Ubu damals eine Schaffenspause ein und David Thomas umgab sich mit Musikern aus dem Jazz – und Recommended Records-Umfeld; eine seiner kreativsten Phasen. Marlowe, das von einem Akkordeon begleitete Lovely Day oder Skidrow-On-Sea fallen unter diese Kategorie.
Dann gibt es die schrägen Rock- und gar sinistren “Technonummern” (What I Heard On The Pop Radio, Flicking Cigarettes At The Sun), in der Art wie man sie von den letzten Alben kennt, in denen ein treibender Beat auf schrille Synthesizer und die noch schrillere Stimme trifft.
Songs wie Road Is A Preacher und The World (As We Can Know It) liegen dazwischen und lassen Thomas’ Gabe, Texte zwischen surrealen, magischen Momenten und trockenem Humor zu schreiben, zur Geltung kommen. Bei Who Stole the Signpost? spielt im Background eine schöne Klarinettenmelodie über einem dichten, zerfahrenen Klangteppich, fast schon eine futuristische Fusion von Elektronik, Rock und Ballade, und David Thomas erzählt dessen unbeeindruckt in Spoken Word-Manier von den persönlichen und globalen Katastrophen.
Ripples
October 22nd, 2019
Outfest 2019: Festival Internacional De Música Exploratório Do Barreiro
1994 ist Lissabon Europäische Kulturhauptstadt. Kurz zuvor werden auch das Centro Cultural de Belem und das Culturgest eröffnet. Dort entstehen Laboratorien für die zeigenössichen Künste und die Stadt legt nach und nach das verstaubte Image ab, nur Anlaufpunkt für Nostalgiker zu sein, die sich an der aus der Zeit gefallenen Atmosphäre berauschen. Auch im Jahr 1994 gründet eine handvoll Enthusiasten aus der Alternativkultur im damaligen Ausgehviertel Nummer Eins – Bairro Alto – das Zé Dos Bois (ZDB). In einem Interview mit der Tageszeitung Público blickt Naxto Checa, seines Zeichens künstlerischer Leiter, auf das Vierteljahrhundert zurück und erklärt warum das ZDB mit seiner partizipativen Mitarbeiterstruktur den krassen Wandel des Quatiers, hin zu einer Dienstleistungs- und Vergnügungsgesellschaft, und die schroffen finanziellen Kürzungen im Kultursektor sogar gestärkt bewältigte.
In Portugal existieren nicht viele Plattformen wie das ZDB, das sowohl auf lokale wie globale Tendenzen in der Kultur reagiert und Raum bietet für die Avantgarde, sei es in der Musik, der Kunst, dem Film oder dem Theater. Checa unterstreicht, dass sich auch die Beziehung von Produktion und Künstler verändert habe und es zu fruchtbaren Zusammenarbeiten bei der Realisierung komme und Starallüren obsolet sind. Künstlern wie Dirty Beaches, Grouper und einigen anderen wurde eine Künstlerresidenz offeriert. Daneben wurden Platten von Loosers, Grouper oder Gabirel Fernandini produziert. Die sehr aktive Jazz- und Improvisationsszene von Portugals Hauptstadt gibt sich im Aquarium, dem Konzertraum des ZDB, praktisch die Klinke in die Hand. Schon vor dem großen Immobilienboom konnte die Equipe des ZDB, nachdem man bei der Gründung einen monatlichen Mitgliedsbeitrag festgelegt hatte und damit einen kleinen Raum gemietet hatte, schließlich das heruntergekommene Gebäude in der Nähe, in der Rua de São Paulo, dem ehemaligen Palácio Baronesa de Almeida, kaufen und nach und nach renovieren, so daß man nun trotz gekürzter städtischer Zuschüsse überleben kann.
Über dem Fluss in der sich gerade neu erfindenden Industrie- und Hafenstadt Barreiro sorgt ein anderes Veranstaltungskollektiv dafür, dass die mittelgroße Stadt mit seinen beeindruckenden Gebäuden und der Arbeiterstadtatmosphäre auch als Ort für Undergroundmusik wahrgenommen wird und damit auch kulturell wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht: Die Assoçiação Cultural Out.Ra.
In verschiedenen Institutionen wie der städtischen Bibliothek oder der Musikschule finden während des Jahres immer wieder herausfordernde Veranstaltungen statt, die auch Zuhörer jenseits des Tejo anziehen. Der Höhepunkt bleibt selbstredend das jeweils im Oktober stattfindende Outfest.
Sechsundzwanzig Konzerte an drei Tagen von Künstlern aus Portugal, Brasilien, Spanien, den USA, Irland, England, Dänemark Schweden, Finnland, Ägypten und Tanzania in ungewöhnlichen Spielstädten, die auch einen wichtigen Teil der Stadtgeschichte repräsentatieren, standen auf dem Programm der sechszehnten Ausgabe: Genres wie Jazz, Rock, Hip Hop, Noise, Punk, Electronica oder Neue Musik vermischen sich und die Grenzen verblassen, so das erklärte Anliegen der Veranstalter.
Am Donnerstag Abend konnte man schon Gabriel Ferrandini mit der Camerata Musicial do Barreiro und Peter Evans in der Igreja Paroquial de Santo André bei intimen Konzerten beiwohnen. Der eigentliche Startschuss des Festivals erfolgte dann am Freitag in einer anderen Kirche, der barocken Igreja da nossa Senhora Rosário: Kali Maloni, die seit längerm in Schweden residierende junge Amerikanerin, die über einem Background von klassischem Gesang und Gitarre zum Orgelspiel fand, improvisierte im ersten Teil ihres außergewöhnlichen Konzertes auf dem Hausinstrument. Im zweiten Part beschallte Malone die Kirche mit ihren, auch hinsichtlich des Lautstärkepegels herausfordernden psychedelisch irrwandelnden Dronegebilden. Meditativ, ohne sich im Raster der Minimal-Music von ähnlich veranlagten Zeitgenossen zu verfangen, erlebte man schon einen der Höhepunkte des Festivals. Oszillierend, dunkel und in ungewöhnliche Richtungen ausbrechend, ist ihre Musik live noch intensiver als z.B. auf ihrem diesjährigen Album The Sacrified Code.
Anschließend fanden sich alle im ADAO, einem ehemaligen Feuerwehrhaus, unweit der Fährestation, das zu einer Künstlerenklava umgewandelt wurde, ein.
Calhau! fühlten sich in dieser Umgebung bestens aufgehoben, kommt doch das Duo aus Porto, das u.a. ein herausragendes Album auf Kraak veröffentlichte, ursprünglich aus der Kunst und ihr musikalischer Output spielt immer mit einer völlig eigenständigen Mixtur aus Sound, Sprache, Performance und Collage. Man fühlt sich angenehmerweise an DDAA erinnert, die eine vergleichbar freie Auffassung von Kunst vertreten. Thematisch arbeiten sich Marta und João aber immer wieder an der katholischen Kirche und anderen kultischen Riten ab. Mit diversen Alltagsgegenständen und tönenden Kunstwerken Marke Eigenbau war auch dieser Auftritt wieder völlig einzigartig. Intensiver Lärm, zerstückelte Wortfetzen, die durch einen akustisch verstärkten Abwasserschlauch gejagt werden und eine am Rande platzierte Pianistin, die die eine oder andere spärliche, aber prägnante, Einlage miteinstreute, lassen einen etwas ratlos, aber intellektuell beflügelt zurück.
Alpha Maid, aka Leisha Thomas & Band aus London, bringen dann das Tanzbein in Schwung, und das selbstverständlich auch mit einer eklektischen Dosis an eigentlich Unvereinbarem: Big Black, Mica Levi, Raster Notion, Mego oder gar Neue Deutsche Welle werden von Thomas als Referenzpunkte genannt und alles tönt zugleich groovig wie zerschreddert. Ilpo Väisänen, ohne seinen verstorbenen Panasonic-Kollegen, auf Solopfaden unterwegs, gab sich anschließend mit einem reduziert, knochig-trockenen Auftritt die Ehre.
Die nicht gerade subtil agierenden Brasilianer von Deaf Kids mit einer Fusion aus Punk, Metall und tribalistischen Elementen waren nicht meine Tasse Tee, dafür sorgte dann das schräge Duo von Tochter und Vater aus Newcastle Yeah You mit einer eigenwilligen Fusion von Home Made Throbbing Gristler und Hip Hop für bloßes Erstaunen.
MCZO und Duke, all the way from Tanzania, legten anschließend einen DJ-Set hin, während ich mich auf die Nachtfähre nach Lissabon begab.
Am Samstag galt es dann, da mehrere Veranstaltungen parallel liefen, die richtigen Entscheidungen zu treffen bzw. in sich zu gehen und den eigenen Affinitäten zu folgen. In der restaurierten Moinho Pequeno, mit Blick auf die Feuchtgebiete und das Meer der Stadt, gab es ein Stelldichein der jungen experimentellen portugiesischen Szene. Bezbog, David Machado (Klarinette, Elektronik etc. ) und Dora Vieira (Melodika, Elektronik etc.)
aus Porto und eng mit dem pulsierenden Kassetten – und CDR-Label Favela Discos verbandelt, machten den Auftakt. Zwischen Obertonmusik, Field Recordings, Free Jazz, Noise und punkigen Ausbrüchen erzeugten sie mit einer höchst eigenwilligen Auswahl an Klangerzeugern ein fesselnde Verbindung aus Stille und Krach, Reduktion und Überschwang. Erstaunlich wie abgeklärt und innovativ die Musik der beiden jungen Musiker schon ist.
Luar Domatrix ist das Projekt von Rodolfo Brito, der einen Hälfte von Yong Yong, einem Duo, das sich zwischenzeitlich in Glasgow niedergelassen hatte und zwei Platten auf dem dortigen Night School – Label veröffentlichte. Brito auf Solopfaden schloss sich mit dem Discrepant – Label kurz, ein weiteres Projekt eines Exil-Portugiesen: Gonçalo F. Cardoso. Er komponiert nun eine weitaus dunklere Musik, die an verschiedene Pioniere des verkopften Industrials – Zoviet France, Nocturnal Emissions etc. – anknüpft und eine subitle exotische Ethno-Note miteinfließen lässt. Die junge Flötistin Violeta Azevedo öffnete die großen verglasten Türen und ließ das Rauschen des Meeres und das Summen der Insekten und Vögel in den zum Konzertsaal umfunktionierten Raum der Mühle hinein. Ihre Musik passt da auch zu gut zum Ambiente. Federleicht ihre Musik, Eno, Delia Derbyshire oder die Kranky-Szene, bekundet die Musikerin, seien wichtige Einflüsse.
Im Teatro Municipal traten das dänische Duo Bryne und die angeblich etwas geheimnisumwobenen Candura aus der Hauptstadt auf, während in der Biblioteca Municipal gleichzeitig ein weiterer Höhepunkt des Festials vonstatten ging: Keith Fullerton-Whitman, sicherlich einer der geschultesten und hellsten Köpfe der elektronischen Avantgarde, tat sich für dieses Auftragsprojekt mit den einheimischen Musikern André Gonçalves, Clothilde und Simão Simões zusammen. Sie setzten den Saal der Bibliothek in eine sanfte Schwingung und führten die Zuhörer auf Abwege durch ihr musikalisch bezauberndes Labyrinth.
Als eine ähnlich veranlagte Künstlerin darf man Magarida Magalhães aka Raw Forest bezeichnen, die ihre gleichermaßen komplex und leicht wirkende Musik, die Ambient als Gegenteil von Minimal auffasst und den Geist Brian Enos mit Cutting Edge Electronica von heute in Verbindung bringt, im Foyer der Bibliothek, präsentierte. Ihre hervorragende Kassette “Post Scriptum” auf dem Labareda Label, einem weiteren wichtigen Mosaikstein der jungen portugiesischen Undergroundszene, gehört zu den Höhepunkten 2019.
Auf dem Marktplatz vermischten sich dann Festivalgänger zwanglos mit zufällig Vorbeikommenden und denjenigen, die den Samstagnachmittag auf dem zentralen Platz mit seinem anschließenden Park genießen. Chão Maior und Davy Kehoe beglügelten zwar nicht zum großen Tanzevent, aber das eine oder andere Wippen war doch zu verzeichnen.
Der große Veranstaltungssaal SIRB und die im Foyer beheimatete grandiose Bar Os Penicheiros war die angemessene Örtlichkeit für den Publikumsandrang am Samstagabend.
James Ferraro, der Konzeptkünstler des Hypnagogoc Pop, ist in letzter Zeit etwas aus dem Fokus verschwunden, während Zeitgenossen wie Daniel Lopatin oder Laurel Halo das Zepter übernommen haben. Die Gründe dafür, könnten sich, nähme man seinen Auftritt als Maßstab, leicht erklären lassen. In permanentem Kunstnebel gehüllt, wirkte seine aktuelle Musik in erster Linie gnadenlos bombastisch und, käme da nicht modernstes Computerequipment zum Einsatz, wie aus einer Zeit, in der ELP, Yes und Jean Michel Jarré uns den Spaß an der elektronischen Musik vergällten. Leider, so das subjektive Fazit, eine redundante Angelegenheit.
Ganz anders da die kettenrauchende und auch ansonsten äußerst agile Ägypterin Nadah El Shazly, die mit ihrer Band eine nahezu perfekte Show und einen Überblick ihrer vertrackten Musik bot. Eine Musik, die mühelos und ohne mit der Wimper zu zucken von der traditionellen Songform zum Free Jazz, vom brüchigen Avantgarde Rock zur kakafonischen Elektronik, vom meditativen Drone zum schroffen Aufschrei wechseln kann. Auch das Instrumentarium vereint verschiedene Welten. Flöten, Oud treffen da auf Kontrabass, Keyboard und Computer. Wichtigstes Element ist aber selbstredend Nadah El Shazlys variationsreiche Gesangskunst, die trotz den traditionellen Bezugspunkten eher von einem Punk-Spirit beseelt scheint und sich in keinster Weise in den World Music- oder Jazzgenres pressen lässt.
El Shazly ist eine wichtige Schlüsselfigur des musikalischen Undergrounds in Kairo, der trotz Einschüchterung scheinbar prächtig gedeiht. Sam Shalabi, der Gitarrist der Band, und Alan Bishop von den Sun City Girls sind ebenfalls in den vergangenen Jahren wichtige Botschafter gewesen, um auch auf eine moderne, freidenkende Seite der arabischen Kultur aufmerksam zu machen.
Die New Yorker Hip Hop-Veteranen Dälek und aka Still folgten dem Auftritt El Shazlys mit Dancefloor-tauglichem Stoff, bevor es dann für die immer noch Tanzwütigen ins Edifício A 4 an den Tejo ging, wo diverse DJ-Sets die Stunden, die von der Nacht übrigblieben, beschallten.
Ripples
August 4th, 2019
Neues von Cordelia Records:
Obscure Independent Classics 1985-1987
Culpho Dog Gymkhana – 2
The Melamine Division Plates – Novosibirsk
Alan Jenkins – The Ninth Alan
The Deep Freeze Mice – My Geraniums Are Bulletproof
“She really likes a band called Tears For Fears, She’s got nothing between her ears”
trällerten die Kamikaze Sex Pilots aus Leicester in schrillen Tönen; einer von vielen alternativen Schrammelhymnen, die sich neben experimentellen Klangcollagen, japanischem Minimalismus, aus dem Ruder laufenden Telefonaten, psychedelischem Pop und und und… auf der fünf Alben umfassenden Obscure Independent Classics – Reihe von Cordelia Records finden.
Auch heute noch klingen viele dieser Songs, die nebenbei einen perfekten Überblick über den musikalischen Untergrund der Achziger bieten, wie Zukunftsmusik. Die meist in 200er Auflagen gepressten LPs sind natürlich längst vergriffen und gesuchte Ware. Da schafft nun dankenswerterweise eine CD-Kompilation mit den Höhepunkten Abhilfe.
Für die Wiederveröffentlichung, die uns nochmals schnurstracks in die Welt des DIY und der Kassetten- und Kleinstlabels zurückkatapultiert (und uns dort vielleicht zurücklässt?) ist ein gewisser Alan Jenkins verantwortlich, der als treibende kreative Kraft nicht nur seine experimentelle Pop-Band Deep Freeze Mice zu einem enormen Output antrieb, sondern auch noch mit Cordelia Records ein Plattenlabel unterhielt. Letzteres zum Zweck, die staatliche Förderung ( £ 40.- /Woche) “zur Gründung einer Firma”, die die Thatcher-Regierung zum Beschleunigen der Privatisierung aussprach, für die Veröffentlichung von weiteren musikalischen Absonderheiten umzuleiten. Auch frönte Mr. Jenkins dem heutzutage noch exzentrischer anmutenden Hobby, sich per Briefpost auszutauschen und seine Musik mit vermeintlich Gleichgesinnten und Stubenhockern in der weiten Welt zu tauschen. Das Resultat war dann eine stattliche Anzahl an LPs, die im schönen Siebdruck – Falt – Cover Künstler wie Dolly Mixture, Mr. Concept, Rimarimba, Zoogs Rift, Leven Signs, R. Stevie Moore, der erwähnten Obscure Independent Classics – Serie und seinen eigenen Projekten zu Ruhm verhelfen sollte. Als Alan Jenkins Terry Burrows, der mit Hamster Records, eine ähnlich veranlagte Mission und eine Affinität für alles Japanische verfolgte, kennenlernte, mündete dies in zahlreichen Kollaborationen. Aus den Deep Freeze Mice wurden die Chrysanthemums (und später weitere Abkömmlinge wie Ruth’s Refrigerator, Jody & The Creams oder The Thurston Lava Tube) und die Liebe zu verschollenen Sixties-Klassikern wie den Zombies traf auf den intelligent verschwurbelten Aufbruchsgeist aus den Achzigern.
Nachdem die turbulente musikalische DIY-Welt mit seiner alternativen Geschichtsschreibung langsam implodierte und vom Zeitgeist für obsolet erklärt worden war, erhöhte Mr. Jenkins in seinem Haus in den englischen Midlands die Schlagzahl ganz einfach und macht seitdem ungebrochen weiter sein “eigen Ding”. Mag sein, dass sich die verwandten Seelen selbst im Land der kultivierten Exzentrik nun schwerer finden lassen, aber egal, dann erfindet man einfach zahlreiche, aus der Fantasie entsprungene Bands und schreibt jeweils eine Geschichte dazu, spielt praktisch alle Instrumente selbst, kreiert unterschiedliche Stile und veröffentlicht kleine Perlen am Laufmeter. Und was wäre die Welt ohne solch verschrobene Genies mit Minderheitsinteressen? Definitiv noch weniger auszuhalten!
Die Musik, die Alan Jenkins in der letzten Zeit für z.B. Culpho Dog Gymkhana, The Melanime Division Plate oder auch zwischendurch unter seinem eigenen Namen schrieb, ist immer unberechenbar und überraschend in seinen Wendungen, und doch zieht sich ein roter Faden durch das manifaltige musikalische Universum Jenkins’. Die von ihm als Genre erfundene Experimental Surf Music ist von langen Gitarreninstrumentals dominiert, die aber immer in alle Richtungen ausufern und seine Affinitäten für Garagenrock, Tape Music, Manipulationen in bester Beatles Weisses Album – Manier, Improvisationen oder Soundscapes miteinfließen lassen. Catchy, schräg und immer “sophisticated” und unterhaltsam, da kann man vortrefflich in eine bizarre Welt abtauchen und sich verlieren. Schwer zu sagen, wer ihn wo und wie unterstützte, aber es ist anzunehmen, dass die Musik praktisch von ihm alleine eingespielt wurde.
Versteht sich somit von selbst, dass auch die “weltweit verstreuten” Bands, die auf den “Experimental Surf Music”-Samplern munter instrumentale Coverversionen von Bowie, Velvet Underground oder Zappa interpretieren, eher in einem Wohnzimmer in Leicester beheimatet sind.
Alan Jenkins wäre nicht er selbst, wenn er nicht die schöne Tradition der bizarren und literarisch verschiedenste Stile und Genres verfolgende Sleeve-Notes der Deep Freeze Mice weiterführen würde, wo der höhere Schwachsinn zur Kunst stilisiert wird und zu immer surrealeren Ergebnissen führt. Dabei mischen sich seine ihm am Herzen liegenden Themen wie Tierrechte, Politik und das Musikbusiness mit seinen gleichfalls skurilen Auswüchsen problemlos mit den unterschiedlichsten Parallelwelten, der experimentellen Theaterwelt, erfundenen Wissenschaftstexten oder Sci-Fi-Stories.
Zum vierzigsten (!!!) Jubibiläum der ersten Deep Freeze Mice – LP “My Geraniums Are Bulletproof” spielte Alan Jenkins das Album nochmals ein:
Alan Jenkins: “In order to celebrate the 40th anniversary of the release of my very first album “My Geraniums are Bulletproof” by The Deep Freeze Mice, I have recorded it again. The new version is different to the old one in many interesting ways. For instance, I shortened the 28 minute track on side two down to 6 minutes and made one of the other tracks 28 minutes long instead. Crazy huh?”
Ripples
July 14th, 2019
Rimarimba – Below The Horizion / On Dry Land / In The Woods
Das Freedom To Spend – Label beschert uns mit den Wiederveröffentlichungen der Rimarimba – Alben, die in den 1980ern auf Kassetten bzw. Below the Horizon auch in einer lizensierten Kleinstauflage als Vinyl bei Cordelia Records erschienen, verschollen gegangene bzw. unter dem Radar der Presse und Radios gebliebene Klassiker der damals aus dem Post-Punk entstandenen blütentreibenden Avantgarde. Das Kassettenformat war das perfekte Medium für diese überzeugten Eigenbrötler und Außenseiter, die abseits von den Großstädten und fern aller Szenen an ihrem Mikrokosmos feilten. Nichtsdestotrotz war ihnen an einem Austausch und an Kommunikation mit ähnlich Veranlagten gelegen. Robert Cox, Multiinstrumentalist und Musikinstrumentenbauer aus Felixstowe, gründete Unlikely Records als Tape-Label, um seine Musik auch für andere zugänglich zu machen und um zu tauschen. Mit einer Marimba und einer Vielzahl an selbst konstruierten elektronischen Instrumenten begab er sich zuhause einerseits auf die Spuren von Neuen Musik-Größen wie Reich, Xenakis oder Ligeti, nur um einen Wimpernschlag später wieder all das zu vergessen, und um mit elektro-aktustischen, Tape-Experimenten und ethnologisch-folkloristischen Elementen und Psychedelica zu experimentieren. Kaum zu glauben welche Schätze damals von der Welt beinahe ungehört in einer Parallelwelt in Wohn- und Schlafzimmern lagerten.
Wären nicht artverwandte Musiker mit zusätzlichem Vernetzungstalent wie Alan Jenkins gewesen, der selbst mit den Deep Freeze Mice einem Außenseiterdasein frönte, aber es mit Cordelia Records dennoch zustande brachte all die musikalischen Kostbarkeiten, die er durch Kassettentauschen erwarb als Schallplatte zu veröffentlichen. Neben Leven Signs, Robert Stevie Moore, Dolly Mixture, Mr. Concept, der Obscure Independent Classics – Reihe wurde auch Below The Horizon von Rimarimba diese Ehre zuteil. Obwohl die Rimarimba – Alben alle die unverwechselbare kompositorische Handschrift von Robert Cox tragen und stilistisch sich ähneln, lässt sich doch wunderbar die Entwicklung der zu Beginn noch wildwüchsigen Ideen zu immer komplexeren und weirderen Kompositionen neu entdecken. Below the Horizon bündelt auf der ersten Seite mit seinen kurzen Stücken so ziemlich alle musikalischen Stile abseits des Mainstreams, von beschwingten melodischen Marimbaminiaturen über dunkle, schwabernde Synthieschlaufen zu free-jazzigen Klavierminiaturen zu ambienten Klanglandschaften, die einem Brian Eno zur Ehre gereicht hätten, von rhythmisch-feinen Perkussionsstücken im Stile von Midori Takada, von der akustischen Gitarre geprägten Kleinode bis zur elektro-akustischen Geräuschmusik. Das die ganze zweite Seite einnehmende Bebag schöpft aus der gleichen Vielfalt an Einfällen, drückt aber hinsichtlich der Aufmerksamkeitsspanne auf die Bremse.
On Dry Land, das zweite Album von 1984, verfeinert den Rimarimba-Stil mit found Sounds, Tape Collagen und spielt noch mehr mit melodischen und atonalen Elementen im bipolaren Wechsel. Die erste Seite wirkt leichter, ist dominiert von vertrackten melodischen Stücken, die zweite wirkt atmosphärischer, lässt Drones und an Nurse With Wound und Zoviet France erinnernde psychedelisch osszilierende Klangflächen zum Zuge kommen.
In The Woods schließlich bietet die gleiche spannende Vielfalt, vielleicht noch eine Spur virtuoser komponiert und montiert, ohne aber im mindesten die konsequente Haltung eines Klangforschers außer acht zu lassen. Robert Cox lässt sich für jeweils einen Moment von den Gitarrenkniffs eines Robert Fripps oder Vinny Reiley inspirieren, um dann auf dem Klavier den Freigeist zu geben und dann wieder einen Moment später fiebrig auf der Marimba und dem Glockenspiel sich überschlagende Melodien zu hämmern. Seine latente Affinität für Progrock lebte Cox dann bei The Same mit dem Album Sinc Or Swim aus, ein weiteres Soloprojekt, das ebenfalls auf seinem eigenen Label erschien.
Ein gesundes Maß an Isolation in einer Zeit, in der der Austausch und die Kommunikation via Schneckenpost stattfand, hat eine faszinierende musikalische Diversität ermöglicht. Dass außer den Enthusiasten für die beinahe klandestine Welt der Kassettenlabels kaum jemand von diesen “Ripples in the Ocean of Sounds” erfuhr, ist eine andere Geschichte. Immerhin scheinen die meisten Musiker, die in ihrem Wohnzimmer produzierten, ihre Aufnahmen archiviert zu haben, so dass es nun zu den Neuauflagen kommen kann. Dem Weltruhm steht nun nichts mehr im Wege.
Freedom To Spend