Ripples Februar 2013
February 17th, 2013
Control Unit – The Fugitives
Silvia Kastel – Take It
Bene Gesserit – Still Insane After All Those Years
Silvia Kastels (Voice, Synth., Beats) und Ninni Morgias (Guitar, Bass) Obsession mit “Rots”-Industrial, d.h. der künstlerisch-interdisziplinären Abzweigung von Punk mit expliziten/politischen Inhalten, wie sie von Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire als Reaktion auf die misslichen Zuständen in Großbritannien kreiert wurde, darf nicht als bloßes Kokettieren missverstanden werden, von zu konstant guter Qualität sind ihre zahlreichen Alben als Control Unit auf unterschiedlichsten Labels wie z.B. auch The Fugitives. Über eine tuckernde Beatbox, billigen Synthesizern und arg malträtierten Gitarrenlicks, also streng minimalistisch, rezitiert Kastell ihre Botschaften der dunkleren Natur. Die drei Stücke auf der Take It – Single von Silvia Kastel klingen ohne Morgias Gitarrenmetzeleien noch authentischer nach CV. Ultramarine ist Kastels und Morgias Label, das sie von ihrem italienischen Wohnort aus betreiben.
Mit Bene Gesserit – Alain Neffe und Nadine Bal – haben sie zwei der kreativsten Pioniere des Kassettenuntergrunds aus den Achtzigern für eine neue Produktion gewinnen können. Der Insane-Backkatalog wird ja ironischerweise seit einiger Zeit von internationalen Hipstern hoch gehandelt, nachdem Neffe ursprünglich beinahe von der Welt unbemerkt Kassetten hin- und her tauschte. Alain Neffe wuchs mit der experimentellen Musik der 1970er auf und hat sich nie mit Haut und Haaren dem Genre des Industrial verschrieben, seine unterschiedlichen Projekte – Human Flesh, Pseudo Code, Chopstick Sisters, Cortex etc. wichen immer von der reinen Lehre ab; elektronische Musik, Sound Poetry, Noise, Pop und Chanson wechselten sich als Stile wild durcheinander ab. Still Insane After All Those Years ist eine nicht minder heterophone Wundertüte. Vergleichbar mit zwei meiner persönlichen Schlüsselwerke der experimentellen französische Musik, Jac Berrocals Hotel Hotel und Video Aventures Camera, besteht das Album aus einer genialen Kompilation “schräger” Songs. Im Verbund mit den gespielten und geklauten Sounds schlüpft Nadine Bal in Rollen, die in schneller Folge kleine Gemeinheiten und Freundlichkeiten versprechen, halluzinieren, den Zustand der Gesellschaft definieren, sich mit einem durchgeknallten Maschinenparkt oder einem endlosen Garageband – Loop anlegen oder gar dem Chanson und dem Fado eine neue Komponente hinzufügen.
Control Unit – The Fugitives
Silvia Kastel – Take It, Bene Gesserit – Still Insane
Ripples Januar 2013
January 14th, 2013
DDAA – Pourriture Cubique
John Avery – Jessica In The Room Of Lights
Ruth & Mushy – Far From Paradise
Mushy – Breathless
Thierry Müller / Aaron Moore – Today Is Yesterday’s Tomorrow
Dass sich die drei Mitglieder von Déficit Des Années Antérieures bzw. DDAA – Jean-Luc André, Sylvie Martimeau-Fée, Jean-Philippe Fée bzw. JLA, SMF, JPF – in erster Linie als plastische Künstler, auch hinsichtlich ihres Wirkens als Musiker, verstehen, ist kein Widerspruch. Die Musik des Künstlerkollektivs, dass sich an der Akademie in Caen Ende der 1970er kennenlernte, vereint deren unterschiedlichen Vorlieben und Ideen aus Kunst, Literatur und Klangskulpturen. Über einen Improvisationsprozess modellieren sie dann diese so minimalistischen wie dichten Klanghörspiele zur unverkennbaren Marke DDAA.
Ripples Oktober 2012
October 16th, 2012
Go Kart Mozart – On The Hot Dog Streets
Malka Spigel – Every Day Is Like The First Day
Ob Pulp die letzte letzte klassische Art School – Band war, die der Arbeiterklasse entsprang und noch etwas Relevantes zu sagen hatte, wie der Architekturkritiker Owen Hatherley in seiner liebenswert unprätensiösen Hommage Uncommon (Zero Books ) behauptet, ist vielleicht nur der Affinität des Autors geschuldet, aber unbezweifelbar schrieb Jarvis Cocker , insbesondere auf His ‘N’ Hers und Different Class noch über komplexe Themen (Klassensystem, Geschlechterkampf, Acrylhemden… ).
Ripples September 2012
September 5th, 2012
Gareth Williams & Mary Currie – Flaming Tunes
Das in der Mitte der Achziger Jahre im Londoner Untergrund und darüber hinaus kursierende Album Flaming Tunes von Gareth Williams und Mary Currie, das ursprünglich auf Kassette veröffentlich wurde und nun, nach einer CD-Version 2009 erstmals auf Vinyl erhältlich ist, steht exemplarisch für den Umbruch von der wütenden bis unterkühlten Ästhetik der politisch motivierten Punk/New Wave-Szene hin zu einer introspektiveren und persönlicheren Ausrichtung.
Soundtracks mit spukhafter Fernwirkung
August 8th, 2012
Philip Jeck – Live in Liverpool
The Caretaker- Patience (After Sebald)
Richard Skelton – Verse Of Birds
Ela Orleans – Mars Is Heaven/Live
U.S. Girls – On Kraak/Live
Literarisch ist die Technik der Überlagerung von Fiktion und Realität gängiges Stilmittel, in die auch die naturwissenschaftlichen und metaphysischen Aspekte des Zusammenhangs von Erinnerung, Gedächtnis und Amnesie – wie z.B. von W.G. Sebald zur Meisterschaft gebracht – relevantes Gewicht haben können.
Wohl bedingt durch die mittlerweile unfassbar großen Tonarchive, die durch die neuen Speichermedien in den letzten Jahrzehnten entstanden und den scheinbar uneingeschränkten Zugang zu diesen Datenmengen, ist in der abstrakten Musik ein Subgenre gesprossen, dass sich an die schriftstellerischen Techniken anlehnt und biographisches und erfundenes Material/Quellen mischt und etwas Drittes generiert.
Philip Jeck war einer der Ersten, der das Thema (kulturelles) Gedächtnis in den Mittelpunkt seines musikalischen Oeuvres stellte.