Ripples
March 25th, 2022
Maria Da Rocha – Nolastingname
Filipe Felizardo – Red Cross
Clothilde – Os Principios Do Novo Homem
Septeto Interregional – Dito
Hidden Horse – Opala
Die Pandemie trieb die Musiker in den vergangenen zwei Jahren zwangsläufig von der Bühne ins Wohnzimmer oder Heimstudio; immerhin lässt sich trotz allen Entbehrungen und finanziellen Verlusten festestellen, dass weiterhin außerordentlich fesselnde Musik aufgenommen und veröffentlicht wird. Und das auch wieder bevorzugt in physischer Form. Die wenigen noch existierenden Presswerke für Schallplatten können die Nachfrage wiederum nur mit teilweisen enormen zeitlichen Verzögerungen bewältigen, was zum Teil aber auch am absurden Wiederveröffentlichungsboom liegen mag: Wie Cordelia/Deep Freeze Mice – Mastermind Alan Jenkins schon in den 1980ern anmerkte: Nachdem mit dem Aufkommen der CD alle ihre Tubellar Bells und Dark Side Of The Moon – Schallplatten zum Trödler getragen und sie sich die gleichen Alben dann im neuen Format zugelegt hatten, werden nun erneut die gleichen Gassenhauer des Mainstream-Kanons mit dem Einläuten des Vinylrevivals verkauft. Zahlreiche Off-Stream-Labels machen nun aus der Not eine Tugend und entdecken mit der Kompaktkassetten noch ein Relikt aus der vordigitalen Zeit neu.
Wie schon ihr Album “Beetroot & Other Stories”, das auf dem experimentellen Sublabel von Clean Feed shhpuma erschien, wurde das 35minütige Stück “nolastingname” im für Klangforschung bekannten EMS-Studio in Stockholm (Kali Malone, Ellen Arkbro) aufgenommen. Maria Da Rocha; von Haus aus klassisch geschulte Violinistin, verlässt wie ihre lusitanischen Zeitgenossinnen Joana Guerra und Joana Gama gerne das enge Korsett der Hochkultur, um mit zeitgemäßeren Genres und Themen zu experimentieren. Dem Buchla-Synthesizer in Stockholm und ihrer Violine entlockt sie Töne, die bearbeitet und komponiert, in so undefinierbare wie unheimliche Grauzonen vordringen, in denen sich Drones, Post-Industrial, Neue Musik oder Folk vermischen.
Die Violine versucht sich mit zarten und der Erdenwelt entrückt wirkenden Melodien zu behaupten, aber verwaschene Beats, entfernte Trommeln und Synthieschwaden lassen nicht nur Taghelles erahnen und führen direkt in verschwommenere Gefilde des Unterbewusstseins. Wie eine Schwester im Bunde von Sunn O>>> oder Nocturnal Emissions sucht sie in ihrer Musik nach der Schönheit in der Introspektion und mit Stilmitteln der elektronischen Obertonmusik und dem immer wieder faszinierenden Gegenspiel von Atonalität und Schönklang.
Das Septeto Interregional ist eine Formation, die inmitten des ersten Lockdowns auf Initiative des Musikklubs Musicbox und des Labels Lovers & Lollypop als virtuelles Projekt ins Leben gerufen wurde. Sechs Musiker aus der einheimischen Alternativszene wurden per Zufallsprinzip angefragt, ob sie zusammen ein Album aus dem “Home Office” schreiben und aufnehmen wollen. Erstaunlicherweise entstand zwischen der venezulanischen Sängerin Ariana Cassellas von der Band Sereias, Bruno Monteiro (Mr. Gallini, Stone Dead), Rafale Fereiro (Glockenwise), Rodrigo Carvallo (Solar Corona), Violeta Azevedo (Savage Ohm), Zézé Cordeiro (José Pinhal Post Mortem Experience) und Serafim Mendes (Visuals) schnell eine besondere Chemie. Die sieben facettenreiche Stücke, die pop-affin und mit scheinbarer Leichtigkeit Garagenrock, psychedelische elektronische Ausflüge, Folklore mit einem schrägen Latino-Touch und einiges mehr an Einflüssen verbinden, klingen so inspiriert wie organisch, die auf eine längerfristige Zusammenarbeit hoffen lässt.
Felipe Felizardos Lockdown-Tape Red Cross klingt wie eine konzentrierte Zusammenfassung seiner musikalischen Affinitäten und wäre eine logische Fortsetzung der diversen Veröffentlichungen, die der Gitarrist für das Lausanner Label Three:Four einspielte. There’s An Endness To It huldigt nochmals einem seiner Vorbilder – John Fahey – und schließt gleichzeitig diesen Zirkel an Hommagen ab. Elegisch, spirituell knüpft er natürlich nebenbei auch gleichzeitig an die Tradition der großen portugiesischen Gitarristen an. Innehalten und Konzentration sind die Eigenschaften, die in Zeiten der Seuche gefragt sind. When Spring Time Comes Again dagegen ist ein dreißigminütiges Drone-Stück, dass dunkel-noisig die lange Zeit der Isolation reflektiert und nur hier und da etwas lichtere Momente zulässt; die Hoffnung auf den Frühling aka ein Ende der Bedrohung ankündigen mögen.
Mit einer ähnlich angelegten düsteren musikalischen Landschaft hat man es, kennt man ihre Musik, erwartungsgemäß bei Clothildes neuem Tape – Os Princípios Do Novo Homem – zu tun. Clothilde (aka Sofia Mestre) befasst sich nicht nur mit Musik, sondern ist auch Fotographin, Illustratorin, Zeichnerin. Gemein mit ihren anderen künstlerischen Ausdrucksformen ist ihr in der Musik das kolorieren bzw. das freie Gestalten ihrer Strücke mit ihren analogen Synthesizern.
Os Princípios Do Novo Homem entstand in Zusammenarbeit mit dem Theaterregisseur Pedro Saavedra für das gleichnamige Stück. 1581 residierte der König Felipe in Lissabon für drei Jahre und wollte eine neue Dynastie entstehen lassen, die eine iberische Handschrift tragen sollte. Das Ergebnis solcher Großmannssucht kennt man und erlebt sie gerade wieder aufs Neue. Eingebettet in oszillierenden Drones, bedrohlichen Beats/Trommelwirbel mit beißenden Noise-Spitzen und teilweiser subaquatischer Atmosphäre ist das epische Ambient – Musik für Fortgeschrittene.
Die zwei Masterminds der vom free-folkigen Psychedelica- und Tropicalismo-Virus infizierten Masterminds der Lissaboner Band Beautify Junkyards – João Kyron und Tony Watts spielen als Fingerübung ein Tape ein, das ihre Ideen nochmals in eine etwas andere, elektronischere, Richtung weiterführt. Im Gegensatz zur Musik mit sonnigem Gemüt der Beautify Junkyards tauchen Hidden Horse in eine imaginäre okkulte Welt ein, dessen Facetten sich aus obskuren Fernsehserien, deutscher Elektronik und einer heftigen Dosis Industrial speist.
Best of 2021
January 5th, 2022
Ein weiteres Jahr Pandemie hat uns in unsere jeweiligen kleinen Universen gefesselt und wenig Spielraum für Überraschungen geboten. Live Events waren selten und fanden in einem merkwürdig gedämpften Rahmen statt. Sind das vorübergehende Zustände oder hat sich die Welt dahingehend geändert, dass wir uns mit diesen neuen Gegebenheiten auch in Zukunft arrangieren werden müssen? Welcher Konsens lässt sich noch erreichen in einer gefühlt zersplitterten Gesellschaft, deren äussere Extreme den Echoraum der Sozialen Medien besetzen und bewirtschaften?
Wir bewahren uns trotz allem einen verhaltenen Optimismus, gepaart mit Neugier und der Offenheit für Experimente, und wünschen uns und allen ein neues Jahr voller positiver Überraschnungen.
Music
Heta Bilaletdin – Nauhoi
Warrington Runcorn New Development Plan– Interim Report, March 1979
Mikis Theodorakis – Axion Esti
The Chills – Scatterbrain
Gaute Granli– Blusens Fasong
Sarah Terral– Le Ménisque Original
Phew – New Decade
Igor Stravinsky – Le Sacre du Printemps
Hattie Cooke– Bliss Land
Filipe Felizardo– Red Cross
Maria Da Rocha– No Lasting Name
Niagara– 1807
Teresa Winter – Motto Of The Wheel
Dohnavùr– The Flow Across Borders
Dry Cleaning – New Long Leg
Blanketman – National Trust
Faust– 1971-1974
José Mauro – A Viagem Das Horas
Goldblum– Of Feathers And Bones
Sons Of Kemet – Black To The Future
Cassandra Jenkins– An Overview On Phenomenal Nature
Tirzah – Colourgrade
Various Artists – Antologia De Música Atípica Portuguesa Volume 3: Canto Devocionário
Aquaserge– The Possibility Of A New Work For Aquaserge
Tassos Chalkias – Divine Reeds
Fatigues – L’Rain
Rebecca Vasmant – With Love From Glasgow
Film/TV
Todd Haynes– The Velvet Underground
Catarina Vasconcelos – A Metamorfose Dos Pássaros
Just Philippot – La Nuée
Christian Petzold – Udine
Brad Ingelsby – Mare of Easttown
Jac Schaeffer – WandaVision
Hwang Dong-hyuk– Squid Game
Sarah-Violet Bliss/Charles Rogers/Michael Showalter – Search Party
Σωτήρης Τσαφούλιας – Έτερος εγώ: Χαμένες Ψυχές
Kaneto Shindô – Onibaba (1964)
John Wilson – How To With John Wilson
Ryûsuke Hamaguchi – Drive my Car
Leos Carax– Annette
Jesse Armstrong – Succession S.3
Shaka King – Judas and the Black Messiah
Ashley Lyle/Bart Nickerson – Yellowjackets
Books
Mariana Enriquez – Nuestro Parte Da Noche (bzw. A Nossa Parte Da Noite)
Ulrich Peltzer – Das Bist Du
Μαρία Ευθημίου – Ρίζες και Θεμέλια
Angela Lehner – Vater Unser
David Peace– Tokyio Redux
Benjamin Berton– Dreamworld
Cátia Vieira– Lola
Samanta Schweblin– Siete Casas Vacías (bzw. Sete Casas Vazias)
Jhumpa Lahiri – In Other Words
Olaf Arndt – Unter Deutschland
Paulo Moura – Extremo Ocidental
Μιχάλης Μακρόπουλος – Μαύρο Νερό
George Simenon – Betty/Der Mörder/Die Marie Vom Hafen/Das Haus Am Kanal
Πέτρος Μάρκαρης – Ο Φόνος είναι Χρήμα
Rachel Cusk – Second Place
Colston Whitehead – Harlem Shuffle
Robert Louis Stevenson – Travels with a Donkey in the Cévennes
Ripples
January 3rd, 2022
Heta Bilaletdin – Nauhoi
Goldblum – Of Feathers And Bones
Obwohl nicht spezifisch unter den ständigen, nicht zuletzt kulturellen, Lockdowns entstanden, klingen die letzten beiden Produktionen des Jahres 2021aus dem Hause Kraak, dem belgischen Flaggschiff für Offstream-Szenen, wie die perfekte musikalische Begleitung für schüchterne Ausbruchversuche aus dem Home Office oder einsame nächtliche Tanzversuche im eigenen Wohnzimmer.
Heta Bilaletdin ist in Kreisen der belgischen und finnischen Musiksubkultur wahrlich keine Unbekannte. Zusammen mit Jonna Karanka (deren exzellentes eigenes Album Plz Tell Me in der Vinylversion ebenfalls auf Kraak erschien) und Katri Sipiläinen spielt sie mit Olimpia Splendid den eigenwilligsten und fesselndsten Post-Punk abseits der Britischen Insel. Daneben ist sie, der Kunstschule in Helsinki entsprungen, neben der Musik auch in der Film- und Kunstszene involviert. Nauhoi klingt erstaunlich homogen und dafür, dass das Album über eine lange Zeit mit unterschiedlichen Equipment und in verschiedenen finnischen Städten aufgenommen worden ist, wie aus einem Guss. Heta Bilaletdins Musik setzt sich patchworkartig aus verschiedenen Experimenten mit Musique Concrète, Home Recordings, diversem musikalischen Equipment, Dub und Gesang zusammen und klingt trotz allem wilden Forschergeist songorientiert mit einer besonderen Ader für Melodien versehen.
Die eckigen New Wavigen-Bassmelodien, der schwurblige, blubbernde, immer leicht eiernde Mix und der schräge Gesang Heta Bilaletdins auf Finnisch entfalten dann auch einen unwiderstehlichen Charme mit Suchtcharakter.
Ein hässliches, mit Pfauenmuster besticktes, Kissen, das vielleicht vom gleichen Flohmarktstand stammt, wo das Rotterdamer Duo Goldblum ihre Kassetten aus irgendwelchen Nachlässen, die dann als Ausgangsmaterial für ihre Musik dienen, bezieht, ziehrt die Hülle von Of Feathers And Bones. Marijn Verbiesen und Michiel Klein spielen auch zusammen bei Sweat Tongue, die sich vom Mythos der New Yorker No Wave – Szene nähren und Erstere legte mit Red Brut im vergangenen Jahr eine der überzeugendsten Platten zwischen Musique Concrète und unkonventionellen Montagen vor.
Goldblum aber ist wieder ein ganz andere Geschichte. Das zweckentfremdete Material der Kassetten mischt Michiel Klein zu verwaschenen Tapeloops, die als Grundlage das Rhythmusgerüst für die poetischen und durchwegs surrealen Melodramen der Songs bilden. Wie die abgenutzen Tonspuren der Kassetten verschwindet jegliche Eindeutigkeit und Klarheit irgendwie in einem Nebel von stoischen Beats, abwechseln süßlichem Gesang und scheingar teilnahmelosem Geschichtenerzählen, kleinen, über die Loops gemischten eingängigen Melodien oder Noiseausbrüchen, wild montierten Klangkollagen oder mantraartig wiederholten, merkwürdigen Slogans. Marjin Verbiesen und Michiel Klein definieren mit Of Feathers And Bones überraschenderweise das in die Jahre gekommene Genre der Library Music/Hauntology nochmals neu und auf erfrischende Weise.
Out.Fest Barreiro Oktober 2021
October 20th, 2021
Out.Fest: Festival International de Música Exploratória do Barreiro
Das Festival für “Música Exploratória” fand dieses Jahr in zwei Etappen statt. Aufgrund der nach wie vor unsicheren gesundheitlichen Situation und den teilweise damit verbundenen Einreisebeschränkungen wurden sowohl im Juni wie jetzt im Oktober überwiegend einheimische (bzw. europäische) Musiker eingeladen; dem Spirit des Festivals konnte das aber – auch wenn kaum internationales Publikum anreiste – nichts anhaben.
Wie gewohnt stellte das engagierte Team des Kulturvereins Out.Ra auch bei der 17. Edition des Out.Fests ein wagemutiges Programm zusammen, das als einen Schwerpunkt die Musikpionierin für elektronische neue Musik Éliane Radigue in den Mittelpunkt stellte, zudem, wie gewohnt, einen Überblick über das aktuelle musikalische Geschehen der portugiesischen Off-Stream-Szene bot. Auch schon Tradition haben die ungewöhnlichen Auftrittsorte in der ehemaligen Industriestadt Barreiro, die inzwischen auch von vielen Lisboetas, denen die Kapitale zu teuer wird, als Wohnort entdeckt wird. Noch wirkt die Stadt aber wie ein Relikt aus den 1990ern Jahren. Im Kern der Altstadt werden zwar nach und nach Häuser und einige der imposanten Industriebauen restauriert, aber noch ohne Spekulanten Tür und Tor zu öffnen. Als Gegenstück stößt man dann an der Peripherie und im Stadtgebiet rund um die Fähreanlegestelle auf brachliegende Flächen und kaum noch bewohnte Straßenzüge, wo Drogenhandel und Prostitution zu späterer Stunde Einkehr halten und die auch ansonsten wenig einladend sind. Ungeachtet des sich langsam vollziehenden Umbruchs der Stadt, in der, nebenbei bemerkt, sich auch langsam aber spürbar die politische Gewichtung verschiebt und die traditionell starken linken Parteien, getragen durch die Industrie- und Hafenarbeiter, mit dem Niedergang der Zweige an Gewicht verlieren, trifft man in den intakten Wohnquatieren auf eine lebendige kulturelle und politisch engagierte Szene.
Éliane Radigue, inzwischen 89 Jahre alt, hat sich über die Jahrzehnte den Ruf einer Säulenheiligen der elektronischen experimentellen Musik erworben. Dies natürlich in erster Linie aufgrund ihrer bahnbrechenden Stücke, aber auch dadurch, dass sie im Gegensatz zu manch anderen der Avantgarde sich zugehörig fühlenden Musiker immer wieder mit gewohnten Traditionen brach und sich in teils unerwartete Richtungen weiterentwickelte. Nachdem ihr Interesse für “konkrete Töne” Radigue in Paris zu Pierre Schaeffer und Pierre Henry führte, deren Assistentin sie schließlich wurde, komponierte sie dann auch eigene Musique Concrète – Stücke. Als ihre Experimentierfreundigkeit von den Meistern als Abweichung von der “reinen Lehre” kritisiert wurde, wurde sie umso mehr darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Durch Laurie Spiegel entdeckte sie in New York den Buchla- und ARP-Synthesizer und orientierte sich an der Minimal Music. Die stark vom Buddhismus inspirierten Stücke Adnos I – III, die in einem langen Zeitraum zwischen 1975 – 1983 entstanden, stehen für eine völlig eigenständige musikalische Sprache, die zugleich meditativ wie intensiv wirkt. Die langformatigen Stücke wirken wie in sich ruhende Klangflächen, die subtilen, aber kontinuierlichen Veränderungen geben sich nur allmählich preis. Das andere, große Stück aus dieser Periode – Triologie de la Mort – , eine Meditation über den kontinuierlichen Zyklus von Leben und Tod knüpft direkt an Adnos an.
Seit längerer Zeit konzentriert sich das Schaffen von Éliane Radigue aber auf akustische Stücke, die eng in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Musikern entstehen und die die Suche nach dem Innern der Töne und ihre unverkennbare musikalische Sprache wieder in eine neue Richtung lenkten.
Beim Out.Fest konnte man nun im Museu Industrial da Baía do Tejo das elektronische Stück Kyema, interpretiert von Caroline Profanter und drei akustische Kompositionen des Occam-Zyklus, darunter eine Erstaufführung, in der Igreja de Santa Maria und gespielt von Julia Eckhardt und Enrico Malatesta (jeweils solo und beim dritten Stück im Duo) hören.
Die Kompostionen Occam IV für Viola und Occam XXVI für Perkussion tasten sich von für das Ohr kaum Wahrnehmbaren langsam und ohne jegliche Dramaturgie vor und bilden durch kleinste musikalische und lautstärkerische Veränderungen fließende, sich überlagernde Klangflächen und Drones. In manchen Momenten kommt einem die klassische japanische Musik, die am Kaiserhof gespielt wurde, Gagaku, die gleichfalls ohne offensichtliche Spannungsmomente ein Gefühl von Starre und Eingefrorenheit heraufbeschwor, in den Sinn.
Vor dem Konzert mit der Musik von Éliane Radigue in der Igreja de Santa Maria konnte man im Amphitheater Paz & Amizade, im fantastischen Stadtpark von Barreiro gelegen, den beiden Perkussionisten João Pais Filipe und Manongo Mujica zuhören und zuschauen, wie sie den musikalischen und kulturellen Bogen zwischen Peru und Portugal, zwischen Folklore und Free Jazz, zwischen abstraktem Rhythmusgeflecht und hypnotischem Innehalten spannten.
Im wundervollen Konzertsaal des “social clubs” Os Franceses, inmitten des verwitterten Hafengeländes von Barreiro versteckt, gab es am Mittwoch die Chance zwei junge, innovative Duos aus dem großen Fundus der experimentellen einheimischen Szene zu hören.
João Almeida und Mariana Dionísio aka LUMP gaben sich äußerst reduktionistisch: Trompete und Gesang bzw. Soundpoetry, das ist es! Was diese Kombination auf dem Papier herzugeben verspricht, löste sie ein. Hörbar vom Jazz und der Improvisation beeinflusst, setzt João Almeida die Töne und Melodietupfer und lässt auch die Leerstellen zur Geltung kommen und Mariana Dionísio experimentiert mit Sprache und Stimme. Das klang manchmal wie die Tonleiter rauf und runter gesungen, dann plötzlich liturgisch und dann wieder, wenn die Trompete sich in das Gebiet der Obertöne vorwagte schlichtweg poetisch und angenehm irritierend.
Filipa Campos und Paulo da Fonseca spielen unter dem etwas kryptischen Namen pä seit 2015 zusammen. Die Metropole Lissabon haben sie vor einiger Zeit mit einer Bleibe auf dem Land getauscht; vielleicht klingen ihre mit analogen Synthesizern und daran angeschlossener Gitarre kreierten Stücke deshalb so organisch. Weich, dynamisch, melodisch, geheimnisvoll kommt einem als Beschreibung für ihre schönen, spektralen Drones in den Sinn, in die man unweigerlich versinken und doch auch die Sinne schärfen kann.
Im Hörsaal der Bibliotéca Municipal in Barreiros Altstadt bläst uns Vasco Alves am nächsten Abend zuerst mit seinem Dudelsack gemäß seiner letzter Veröffentlichung Gaita Contra Computator Obertoniges um die Ohren, was in der Kombination mit zerschredderten Beats aus dem Computer und dadurch, dass sich Alves ständig im Raum hin- und herbewegt und die Akustik verändert dem Genre eine neue reizvolle Nuance hinzufügt.
Adriana João und Pedro Tavares befassen sich außer mit Musik auch intensiv mit Videokunst, Installationen oder Malerei; im Auditório beschränken sie sich aber heute Abend auf die Musik. Mit Piano, Violine und Computer als Gestaltungsmittel spielen sie eine Art nervöse Kammermusik, die durch ständige Brüche und melodische Farbtupfer im Wechsel eine so eigenwillige wie eigenartige, irgendwie abgehoben-verschwurbelte Stimmung zwischen Erde und Himmel imaginiert.
Das outfest-Publikum wäre ganz sicher auch dazu bereit gewesen länger als dreißig Minuten den verschlungenen musikalischen Pfaden von Adriana João und Pedro Tavares zu folgen; auf der Bandcamp-Seite des Lissaboner Labels CD-R lässt sich allerdings das Vergnügen mit dem Erwerb von 6 Ensaios verlängern.
Das Auditório Municipal Augusto Cabrita ist ein modernes multifunktionales Kulturzentrum, das sich auch eine finanziell gebeutelte Stadt wie Barreiro leistet. Im bestuhlten Saal kann man ansonsten Theater, Mainstream-Rock oder den Weihnachtschor auf der Bühne erleben. Freitag und Samstag sind aber an diesen ersten Oktobertagen für kulturelle Exkursionen ganz anderer Art gebucht.
Die Französin Jessica Ekomane, die nun wie mindestens jeder zweite Künstler auch nach Berlin geflüchtet ist, ortet sich musikalisch zwischen Soundinstallationen, die gerne auch quadrophonisch den Raum beschallen, der multidiziplinären Kunst- und der elektronischen Musikszene ein. Liveauftritte können dann auch einmal in ein nächtliches Schlafkonzerten münden. In Barreiro bekommt das Publikum aber ein konzentriertes Programm in Form abstrakter dynamischer elektronischer Klangflächen mit wenigen Beats geboten; eine Musik, die wie die Synthesizermusik von Kara-Lis Coverdale oder die geometrischen, holprigen Achterbahnfahrten von Autechre abstrakt und organisch zugleich wirkt.
Bruno Silva darf sich fast schon als Veteran in der Geschichte der elektronischen Musik in Portugal der letzten Jahrzehnte bezeichnen. Beim Out.Fest trat er auch schon mit seinem ersten Projekt Osso in Barreiro in Erscheinung. Als Serpente und Ondness veröffentlichte er in den letzen Jahren verschiedene Alben, z.B. auf Discrepant Records, die eine ganz eigene Handschrift tragen und auf eine in den Bann ziehende Weise repetive, ungemütliche, verschlungene Beats, melodische musique concète, Samples und Außenaufnahmen fusionieren. Auch als erklärter Freigeist in der Elektroszene darf die Besetzung für den Out.Fest – Auftritt mit den beiden aus der aktiven Free-Jazz/Impro-Szene stammenden Margarida Garcia (Kontrabass) und Pedro Sousa (Saxophon) als gewagt bezeichnet werden. Und so wirkte das Aufeinandertreffen auf der Bühne nach einem starken Beginn, der etwas an die atmosphärisch-dichten “electronic landscapes” von Benjamin Lew und Stephen Brown erinnerte, tatsächlich etwas bemüht und inkompatibel. Die Jazzelemente und mächtigen elektronischen Soundwände Silvas wechselten sich ab oder bliesen zum jeweiligen großen Finale der Stücke, ohne die erhofften magischen Momente zustande zu bringen.
Am letzten Tag es Festivals traf sich im Os Franceses eine kleinere Schar schon um 15.00 Uhr am Nachmitttag, um, diesesmal in einem kleinen Saal und im Dunklen mit der Möglichkeit, sich auf Matratzen auszustrecken, zwei Stunden João Sarnadas’ The Humm zu lauschen. Dieses gewaltige Stück, das sich in zwei Teilen auf vier CDs erstreckt – The Hum und The Humm – ist ein im wahrsten Sinne des Wortes hypnotisches Abtauchen in warme, dronige und kitschfreie subtile musikalische Labyrinthe. Die Töne stehen über einen längeren Zeitraum beinahe starr im Raum. Die Musik, so Sarnadas, entstand in intensiven Sessions über einen kurzen Zeitraum. Der zweite Teil – The Humm – imagniniert einen Spaziergang durch ein verlassenes Porto an einem sehr warmen Tag. Das Stück komponierte Sarandas mit einem Synthesizer und Oszilatoren. João Sarnadas’ Musik ist im Geiste nicht so weit von der, Éliane Radigues entfernt.
Im Parque Paz & Amizade verlängerte um 18.00 Uhr das schwer angesagte Manchester Duo Space Afrika, das vorgibt, die britischen Genres Trip Hop, Dubstep und Post-Punk nochmals zu erneuern, unfreiwillig das Schlaferlebnis am späten Nachmittag. Ihre düsteren Soundscapes passen gut in eine verregnete Manchester Nacht, bei Sonnenschein, gepaart mit dem Naturerlebnis des Parks verblasst das alles zur Loungemusic. Selbst die Fotographen waren dermaßen verzweifelt, dass sie im Publikum nach interessanteren Motiven suchten.
Zum Glück konnte man zum Abschluss der Oktoberausgabe des Out.Fests 2021 im AMAC mit Gustavo Costa und den Glasgowern Still House Plants nochmals aufregendere Töne erwarten.
Costa hat mit einigen anderen Musikern und Weggefährten aus der produktiven Musikszene in Porto in den letzten Jahren das kreative Zentrum Sonoscópia, das zugleich Veranstaltungsort für verquere Musik, Schule, Residenz, Label und vieles mehr ist, aufgebaut. Seine Wurzeln in der Hardcore- und Undergroundszene verleugnete er selbstverständlich auch nicht auf den Veröffentlichungen mit elekro-akustischen – oder auf der kürzlich erschienen Platte Entropies and Mimetic Patterns mit Perkussionsstücken. Entsprechend kurzweilig und grenzüberschreitend gestaltete Costa das Set auf seinem Hausinstrument (Schlagzeug). Klangforschung und Energie, Minimalismus und Drones, Neue Musik und Underground; alles floss in die Stücke ein, ohne bloß konstruiert zu wirken.
Die Still House Plants haben ihre reduktionistische Version von rhythmisch-abgehackten Jazz-Punk – Songs inzwischen nach mehreren Platten und zahlreichen Auftritten perfektioniert, ohne an diesem Konzept scheinbar etwas zu verändern oder zuzufügen zu wollen. Aber warum auch? Der warme Gesang von Jessica Hickie-Kallenbach wirkt als perfekter Kontrapunkt bei den genussvoll ausgereizten repetiven Disharmonien der Songs. Ein schöner Ausklang.
Ripples
September 12th, 2021
Teresa Winter – Motto Of The Wheel
Bridlington. East-Yorkshire. Hafenstadt. Wie die gesamte Region hat der Ort schon bessere Zeiten gesehen. Der Hummer, der hier gefischt wird landet gewöhlich auf reich gedeckteren Tischen im Süden oder in Übersee.
Teresa Winter, nun zwar in Leeds wohnend, ist in Bridlington als Tochter eines Künstlerpaares aufgewachsen und die leicht verlotterte und derangierte Stimmung, die mit der rauen Atmosphäre des Hafens und des Meeres im Einklang zu stehen scheint, spiegelt sich auch in ihrer Musik auf Motto Of The Wheel, einem Album, das sich bewusst mit Erinnerungen auseinerandersetzt und autobiographische Züge trägt, wider.
Wenn man in solch einem Umfeld groß wird, lässt sich ein gewisser nostalgischer und romantischer Blick auf die Geschehnisse kaum vermeiden. In der Musik von Motto Of The Wheel vermischen sich obskure psychedelisch-angehauchte Drones, Dreampop, glockenhelle Gesangparts, depressive Nach-Rave-Dance-Tunes, Samples, Noise und Ambient Music oder geheimnisvoll aufgeladene Momente der beinahen Stille zu einem spannenden psychogeographischen Ausflug höchst persönlicher Natur. Eine Musik, die die Nachwehen und die Stimmung einer durchwachten oder durchgefeierten Nacht wiederzugeben scheint und ein Gegenentwurf zur Kirmesmusik auf den Piers sein könnte.
Über einen Kurs an der Universität in Leeds und durch die experimentellere elektronische klassische Musik entdeckte Teresa Winter die Möglichkeiten des Experimentierens in einem Studio, wie sie in einem Interview mit The Wire erzählte. Allerdings entlarvte sie den dort herrschenden sterilen Überperfektionismus auch als typisches Macho-Ding. Inzwischen entsteht ihre Musik meist in klassischer Do It Yourself- Manier in ihrem Schlafzimmer mit einem Sammelsurium an teilweise ausrangierten Instrumenten.
Das Rad steht für Teresa Winter symbolisch für die Fortbewegung, die nur mit Wiederholung und nicht binärisch gegensätzlich von Vergangenheit und Zukunft zu haben ist. Nostalgie fühlt sich meist ungut an, auch weil sie sich auf eine Sehnsucht nach der Vergangenheit bezieht.
Immer wieder brechen harsche Rhythmen, die zwischenzeitlich auch mal wieder abzustürzen scheinen, in den spektralen Momenten ihrer Musik durch, die die Geschichten der Songs wieder an einen anderen Platz transportieren. So irritiert zum Beispiel nach einem Post-ravigen Auftakt ein Sample eines Sprechers, der sich über das “tombstoning” – das von Felsen blind ins Wasser springen ohne die Tiefe oder den Boden erahnen zu können junger Leute, das immer wieder zu gravierenden Unfällen führt – auslässt. Das Spielen mit dem Okkulten, Unschönen oder auch der Sexualität, insbesondere auf früheren Platten, führte zu Vergleichen mit Cosey Fanny Tutti bzw. Throbbing Gristle, die in den auslaufenden 1970er Jahren sich ganz in der Nähe in Hull zusammenfanden. Von den geographischen Verbindungen abgesehen, ist es aber wohl vor allem die Weiterführung dieser Tradition an außergewöhnlichen Musikerinnen wie Delia Derbyshire und Daphne Oram, die eine eigenständige Linie verfolgen, ohne in das Fahrwasser des Mainstreams zu geraten, die die beiden Frauen aus verschiedenen Generationen in Zusammenhan