Bruxelles Soundscapes 3

January 8th, 2009

Blessed By Sleeplessness: Half Asleep

“Langsam begegnet eine Melancholie, die eine Melancholie durchquert, einer weiter entfernten Melancholie, die vergeht und sich in eine neue Melancholie verlängert “ Henri Michaux, Erste Eindrücke

Mit schon drei bei verschiedenen Mikrolabels in Brüssel und Frankreich erschienenen Alben ist Valérie Leclerq alias Half Asleep für eine weitere Facette der gleichermaßen heterogenen wie individualistischen belgischen Szenerie verantwortlich. Träfen die (von der dortigen Presse behaupteten) Vergleiche mit der New Weird (?) Folkscene, dem mühsam heraufbeschworenen Hype 2007 ff., tatsächlich zu, wüßte man davon wahrscheinlich auch außerhalb des frankophonen Teils Europas.

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Der (musikalisch) reklusive, welt-verstreute Zirkel von Einzelgängerprojekten wie jene von Cécile Schott (Colleen), Islaya, Es, Matt Elliott, Murcof, Bark Psychosis beispielsweise und die vornehmlich von Labels wie Leaf, Fonal oder Ici D’ailleurs gehegt und gepflegt werden, scheint aber künstlerisch eher der ihrige zu sein. In der Musik Half Asleep‘s gibt es zwar bisweilen durchaus folkige Anleihen, aber ebenso wie auch kleine satieeske Miniaturen auftauchen, haben die meist langsamen und mit Gitarre und Klavier gespielten Stücke alle mehr als einen Hauch europäischer Strenge geatmet. Der spröde, manchmal gar liturgisch schwere Grundton, und das dunkle Timbre der Stimme tun das Übrige. “Low hatten sicherlich einen großen Einfluß auf mich ausgeübt, indem sie mir den Mut gaben diese ruhige und langsame Musik zu spielen, die ich spielen wollte. Ich mag Tara Jane O’Neill, sie ist aber mehr eine Klangforscherin und kreiert musikalische Landschaften, während ich mehr an Melodien interessiert bin. Strukturen sind sehr wichtig für mich; mit zwei oder drei Akkorden kann ich nicht zufrieden sein, ich würde immer den Eindruck haben, dass der Song nicht fertig ist und etwas fehlt. Es erscheint mir deshalb auch bizarr, wenn man meine Musik als einfach beschreibt. Vielleicht bringt man da Simplizität und Minimalismus durcheinander. Klassische Musik ist nicht auf bloße Akkorde aufgebaut, sondern auf Variationen, auf erzählende Melodien, die sich ständig entwickeln. Das inspirierte mich auf die eine oder andere Weise. Ich habe keinen klassischen Background, ich kann Musik weder lesen noch schreiben, aber ich besuchte Musikstunden für fünf Jahre als ich klein war. Dies war eine spezielle Schule, in der wir lernten zu hören und zu spielen, aber keine Stücke zu lesen, es war eine sehr intuitive und spontane Annäherung.” Half Asleep’s Musik hat grundsätzlich mehr eine Überwachheit als Somnolenz im Sinne. Diese scheinbar desperate Stimmung ist ähnlich den Geisterschiffelegien Elliotts’ mit einem unwirklichen Unterton aufgeladen; die Geschichten Valérie Leclerqus’ sind zudem meist surreal-ironischen Gehaltes, so dass in der Kombination eine weitere Illusion einer leicht verschobenen Parallelwelt entsteht, die mich immer irgendwie an die Atomosphäre von Henry James’ Turn Of The Screw erinnert (z.B. in der Interpretation von NicosSecret Side, in der der Gotikcharakter mit einer brüchigen Ambivalenz unterlegt ist). “Die Texte sind fragmentiert und visuell. Ich bin fasziniert von absurden Dramaturgen und Schreibern wie Henri Michaux, Breton, Ionesco, aber auch Gombrowicz oder Harold Pinter. Alles dort ist fragmentarisch und rhythmisch. Ich denke, Rhythmus ist mit am wichtigsten, es gibt dem Ganzen Kohärenz und Fluss. Auf der Seite der weiblichen Schreiber würde ich Virginia Woolf oder Janet Frame erwähnen, vielleicht Marina Tsvetaieva. Diese Schreiber haben mich sicherlich berührt und bewegt…Ich denke auch, dass Kristin Hersh eine briliante Texterin ist.”
Alles beginnt mit dem Kontakt zu den umtriebigen Mikrokosmonauten von matamore.recordings., die 2000 noch vor allem Musik-, Bücher- und Filmbestenlisten zwischen Luxemburg und der Wallonie hin- und hersenden, aber auf der Netzseite auch ein Forum für Musiker einrichten. Inzwischen auch zum Label erweitert ist ihnen außer der Zweitauflage von ‘Learning to Swim‘ , dem zweiten Album von Half Asleep, die Veröffentlichung solch uneinsortierbarer Songpoeten wie V.O. (Boris Gronemberger, der sich bei Liveauftritten von Françoiz Breut als sämtliche Instrumente der Welt beherrschendes Universalgenie herausstellte), Raymondo oder den Post-Rockern Some Tweetlove zu verdanken. matamore.recordings. hat sich zudem die Passion bewahrt, regelmäßig Konzerte in Brüssel und das jährliche Rhâââ-Festival zu organisieren. Für Valérie Leclerq ergibt dann das Eine das Andere. Über die Internetseite entstehen Kontakte zu Delphine Dôra, die später zur Zusammenarbeit führen sollte, und Vincent alias Dana Hilliot, einem der Betreiber von Another Record . Nach dem Zusenden einiger Demos erscheint dort das Debut ‘Palms & Plums’. Das dritte Album (We are Now Seated) In Profile wird bei dem schon semi-professionellen Toulouser Label Unique Records veröffentlicht, das Verbindungen zu den anderen beiden unterhält. “Diese drei Labels haben alle ihren eigenen Geist, den sie auch verfolgen, aber das Spezielle ist, das sie alle drei von Musikern betrieben werden. Für einen Musiker ist es gut zu wissen, dass er zu einem anderen Musiker spricht, die Freiheit und die geeignete Unterstützung erhält . Auch sind die Künstler und Betreiber der kleinen Labels sehr realistisch. Man weiß, dass man nicht reich werden wird, aber es geht darum, sich auf unserem bescheidenem Niveau an der Musik, die man liebt, zu erfreuen, und das würde man gegen nichts in der Welt eintauschen.”
Zugesicherte künstlerische Freiheit heißt allerdings nicht, dass sich auch das Geschlechterverhätlnis angeglichen hätte. “ Matamore und Unique haben jeweils eine Künstlerin in ihrem Katalog, und das bin ich! Bei Another-Record gab es zwei Gruppen mit einer Sängerin und existiert noch das side-project musique en marge , bei dem es sich um die drei “genialen” künstlerinnen li, Sandra und Delphine Dôra handelt. Auch ist das Publikum, das zu den Auftritten kommt, fast ausschließlich ein männliches.”
Auf der Bühne wechselt sie zwischen Gitarre, Bass, Klavier und setzt ein Looppedal zur Variation ein. “Das ist noch alles sehr ruhig und amateurhaft, aber ich fühle mich zunehmend wohler. Für die Zukunft könnte es sein, dass ich das Konzept erweitere, z.B. mit einer Gruppe spiele oder mehr improvisatorisch vorgehe.”
Palms And Plums (Another Record, 2003) und Just Before We Learned To Swim (matamore, 2005) sind “klassische” Wohnzimmerproduktionen, aufgenommen mit Mini-Disc-Rekorder und ein bis zwei Mikrophonen, und doch läßt sich schon die Komplexitität der Kompositionen, Melodien und inszenierte Stimmungswechsel in der Musik Valérie Leclerqs heraushören. Das im Studio aufgenommene dritte Album (We Are Now) Seated in Profile (unique records, 2005) erfährt durch eine dezente Erweiterung des Instrumentariums (einige Tupfer Trompete, Glockenspiel und Perkussion )und die Beteiligung von Schwester Oriane (die auch auf dem Debut und anfangs bei Auftritten partizipierte), Thomas Boudineau und Produzent Gilles Deles bei einigen Stücken, eine selbstbewusstere Umsetzung. Die Art von Musik, die ihr vorzuschweben scheint, ist schon auf dem ersten Album klar herauskristallisiert. Während für den Moment keine neuen Veröffentlichungen von Half Asleep geplant sind, sind einige Ergebnisse von Kollaborationen mit befreundeten Musikern/musizierenden Freunden schon dokumentiert. Mit der anarchistischen, auf ihre Art einem weiblichen Jad Fair nicht unähnlichen, Delphine Dôra entstand 2005 die EP For Christmas. “Delph arbeitet auf eine sehr spontane Art und Weise, sie hat ihre völlig eigene musikalische Welt, verrückt und berührend zur gleichen Zeit, in der praktisch alles erlaubt ist. Ich schätze es sehr mit ihr zusammenzuarbeiten, das ist wie Alkohol trinken, die Selbstkontrolle wird beeinträchtigt und die Verkrampftheit reduziert.” Auf dem aktuellen Album besagter Delphine Dora (Delphine Dora – & Friends , Greed Records) partizipiert neben ihr selbst auch Jullian Angel . Auch auf dessen eigenem, schwer psychedelisch-folkigen Album Life Was The Answer steuert sie zwei Gesangparts bei. Schließlich besteht, seit man sich auf dem Rhaaa -Festival 2005 kennenlernte, auch Kontakt zu Matt Elliott; bei einigen Auftritten in diesem Jahr spielte sie in seiner Band.

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