Bruxelles Soundscapes 8

March 30th, 2009

Tuxedomoon – The Chronicles

Als sich Steven Brown und Blaine Reininger 1976 an einem Community College in San Francisco im Kurs für ‘Elektronische Musik’ kennen und bei der Präsentation der Abschlußarbeiten schätzen lernten – ihre Stücke hoben sich durch Exzentrik von der klassischen E-Musik-Linie der anderen ab – begann ein künstlerisches Projekt, das 2006 in sein dreißigstes Jahr gehen sollte.

img_2135

San Francisco hatte Mitte der 1970er immer noch den Ruf – neben New York – die Bohème-Stadt schlechthin in den USA zu sein. Die Geschichte der Außenseiterbewegungen aus den Fünfzigern, Beat Poetry, Minimal Music um das Tape Music Center mit Künstlern wie Pauline Oliveros, Morton Sobotnik, Ramon Sender oder der interdisziplinären Architektin Ann Halprin, wurde von radikalen Theatergruppen wie Angels Of Light weitergeschrieben, der Geist des Späthippietums schließlich von dem des Punk abgelöst. Das Leben war noch billig und künstlerisch alles erlaubt. Das zog potentielle Künstler und Musiker aus dem ganzen Land an. Steven Brown kam aus Chicago, Blaine Reininger aus Pueblo, Colorado und Peter Principle, der zum dritten festen Mitglied von Tuxedomoon werden sollte, aus New York. Subterranean und Ralph Records prägten den Sound dieser Jahre, Re/Search versorgte die Szene mit Fanzines und ersten Buchveröffentlichungen mit theoretischem Hintergrundwissen und promotete Ballard und Burroughs. Tuxedomoon passte perfekt in dieses Umfeld, aber schon 1981 zog es die europäischten und sogleich kosmopolitischten Friscoer in Richtung alten Kontinent, wo sie sich nach kurzen Etappen in London und Rotterdam für eine gute Dekade in Brüssel niederließen und gleichermaßen das Umfeld prägten wie von ihm beinflusst wurden.

Anfang der 1980er war das sogenannte ‘Europa der offenen Grenzen’ noch in weiter Ferne, jeder Übertritt in ein anderes Land ein Erlebnis und man reiste aus Kostengründen per Zug; all das untermauerte den mythischen Ruf des bohemienhaften, aber bettelarmen Künstlerkollektivs. Und als die Mitglieder in den Neunzigern Brüssel verließen und sich auf alle Kontinente verstreuten, sah die Situation nicht wesentlich besser aus (Reiningers zu dieser Zeit todkranke Frau JJ La Rue z.B. musste sich illegal von einer gemeinnützigen Organisation behandeln lassen, weil kein Geld vorhanden war).

Von all dem erzählt Isabelle Corbisier in ‘Music For Vagabonds – The Chronicles’ ausführlich. Selbst Fan in 1980ern und mit dem Vorhaben in das Musikbusiness einzusteigen, durchlebte sie nach einer Reise zu einem Konzert der Band in Lille, wie sie schreibt, einen psychischen Zusammenbruch bzw. eine Grenzerfahrung und wendete sich als Konsequenz ganz von der Musik ab, um einen akademischen Weg einzuschlagen. Beinahe zwanzig Jahre später, schon mit dem Gedanken im Kopf ein Buch über Kunst, Zeit und Reisen zu schreiben, entdeckte sie per Zufall durch einen Freund die Band neu und plötzlich, so Isabelle Corbisier, war klar, dass die Protagonisten des Buches nur Tuxedomoon sein konnten. 2001 lernte sie die Musiker persönlich kennen und begleitete sie in ihrem musikalischen und tatsächlichen Nomadenleben. ‘Music For Vagabonds’ bildet anhand von ausführlichen Interviews mit den Musikern und deren Umfeld, Zitaten, Recherchen, Fakten ein zuerst etwas chaotisch anmutendes, bei der Leküre aber zunehmend Sinn ergebendes Patchwork an Informationen und persönlichen Eindrücken ab.

All die Geschichten vom kulturellen Aufbruch, der Romantik und der Scheußlichkeit des Reisens und Weltenbummelns, internen Eifersüchteleien, kreativen Höheflügen und Abstürzen summieren sich zu einer unverzichtbaren Mischung aus Fanbuch und intellektuellem Reader über Außenseiterkunst. Erhältlich ist ‘Music For Vagabonds’ als Book on Demand.

Comments are closed.