Ripples

November 12th, 2022

Die Kassettenseite

Baumschule – 39:12
Romain De Ferron – Ravi
Venediktos Tempelboom – Het Vuil Volkske
Sourdure -De Bon Astre

Dass sich aufgrund des Mangels an Fabrikationswerken die Produktion einer Schallplatte  bis zu einem Jahr strecken kann und die Beschleunigung der Welt, zumindest in dieser Hinsicht und als kleiner Beitrag für das Ganze, etwas ausgebremst wird, ist durchaus eine nette Begleiterscheinung. Dies ist natürlich dem allgemeinen gesteigerten Interesse des Mainstreampublikums am Vinylformat geschuldet, das für eine große Wiederveröffentlichungswelle altbekannter Titel sorgte und die Kleinlabels hintenanstellte.
So finden schneller herzustellende Tonträger wie die Kassette und die ungeliebte CD im Off-Stream-Universum gleichfalls einen Aufschwung.
Lange Rede, kurzer Sinn: Nachfolgend einige neue Kassettenproduktionen, die teilweise auch im CD-Format erhätlich sind.

Raphael Loher (Piano), Julius Satoris (Drums) und Manuel Troller (Guitar) sind meines Wissens zwar keine fundierten Kenntnisse des Gartenbaus nachzusagen, trotzdem ist der Name ihrer gemeinsamen Band – Baumschule (three:four) -natürlich mit Bedacht gewählt. Den Spuren der großen Meister der Reduktionskunst der 00er- Jahre folgend, lassen sie ihr fast vierzigminütiges Stück sich kontinuierlich entwickeln und auf- und abbauen, sprießen sozusagen, um im botanischen Jargon zu bleiben, ohne dass der Geräuschpegel jemals Gefahr läuft, in den roten Bereich auszuschlagen. Fließend und ohne Dramaturgie wird man beim Hören von 39:12 trotzdem in einen Sog gezogen und folgt der sich das ganze Stück durchziehenden Perkussionsfigur, den Piano- und der Gitarrenmotiven, die zarte Farbtupfer setzen und sich doch permanent verändern.

Wie eine digitalisierte Version von Look de Bouk und deren von Dada und Art Brut beeinflussten kunstaffinen Umfeld klingt der Landsmann Romain de Ferron aus Lyon auf seinem Debutalbum, das lange auf sich warten ließ, jetzt aber als Tape auf Kraak erschienen ist. Ansonsten in verschiedenen Bands wie Omertà oder Ballader engagiert, als Veranstalter und Fanzinemacher aktiv, neigt De Ferron auf Ravi (kraak) auch nicht zur Introspektion und Entspanntheit.

Überschwängliche Melodien, die immer auch etwas Irritierendes und Artifizielles innehaben, eine chronische Unruhe, verspielte Miniaturen und Gesänge und Chöre, die direkt aus dem Alienland daherkommen, prägen dieses kurzweilige Album. De Ferron spielt Synthesizermusik zwischen Pop und Avantgarde, ein Hauch Reich’schen Minimalismus lässt sich auch nicht verbergen und manchmal klingt auch die Melancholie eines Pascal Comelade bzw. seiner Urformation Fall Of Saigon (allerdings auf Acid oder etwas Vergleichbarem) mit.

Wie de Ferron ist auch Ernest Bergez an unterschiedlichsten Projekten beteiligt. Das Post-Techno Noise-Duo mit Clément Vercelletto (dessen eigenes Album unter dem Pseudonym Sarah Terral Le Ménsque Original auch bei Three:Four erhältlich ist) Kaumwald ist dabei genauso zu erwähnen wie das Trio mit Èlg Orgue Agnès. Seine Solo-Arbeiten veröffentlicht Bergez allerdings meist als Sourdure.
Für den Film von Sébastien Betbeder Debout Sur La Montagne komponierte er nun den Soundtrack. Das Album De Bon Astre (three:four) könnte gut in die Reihe des legendären französischen Labels Nato passen, das merkwürdige und uneinsortierbare Film- und Worldmusik neben ihrem eigentlichen Markenzeichen Jazz und Improvisation veröffentlichte. Aber auch das jetzige Label von Bergez Three Four hat mit dem Soundtrack für Les Particules von Èlg ein Album von ähnlicher Qualität veröffentlicht, ein Attribut, das natürlich auch für De Bon Astre zutreffend ist. Die kurzen Stücke weisen eine bewundernswerte Vielfalt und Sophistication auf; mit Eloïse Decazes, Julien Desailly und François Arbon als Gastmusiker hat Bergez auch ähnlich veranlagte Zeitgenossen der französischen Independent-Szene gewinnen können.

Die Stimmung der archaischen und rauen Landschaft der Pyrenäen, der überalterten Bewohner, der beinahe verlassenen Dörfer, des einnzig übriggebliebenen Cafés oder Lebensmittelladens, der verborgenen Geheimnisse und letztlich auch die der Schönheit dieser Landschaft fängt Le Bon Astre ein.

Benoit Monsieurs hat dagegen musikalisch mit der europäischen Verkopftheit und versteckten Doppelbotschaften nicht viel am Hut.

Seine Inspirationen findet er bei den Gitarrenmeistern des Wilden Westens und Ostens der USA- John Fahey, Robbie Basho – oder deren erklärten Anhängern wie James Blackshaw oder Ben Chesny. Venediktos Tempelboom aka Benoit Monsieurs, so sein, Achtung: tongue in cheek, Künstlername lässt mit seiner 12-Saitigen musikalische Landschaften entstehen, die sich buchstäblich vor dem inneren Auge des Zuhörers visualisieren. Und wie bei den Großmeistern dieses Genres wohnt den Stücken Magie und Sehnsucht inne, die die Musik in eine andere Sphräre hieven, die Spiritualität, weite Wüsten und das Versprechen der einen oder anderen Fata Morgana suggerieren. (kraak)

 

http://www.wearethreefour.bandcamp.com

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