Les Années 70
February 24th, 2009
Chantal Akerman Collection
In den letzten Jahren konnte man Chantal Akermans aktuelle Arbeiten – meist Installationen und Videos – vermehrt in internationalen Galerien sehen; ihr neuster Film – ‘Lá – Bas’ von 2006 – lief hingegen außer in Brüssel nur auf einigen Dokumentarfilmfestivals.
In den 1970ern Jahren wurde der cinematographische Teil der – nicht nur belgischen – Avantgarde von ihr wesentlich mitgeprägt. Eine essentielle DVD-Box mit fünf Filmen (und Extras) gibt nun die Möglichkeit wieder in diese eigen- und einzigartige Filmwelt Akermans einzutauchen. Außer dem dreistündigen Meisterstück ‘Jeanne Dielman, 23 Quai Du Commerce, 1080 Bruxelles’. das drei Tage des klaustrophobischen Lebens einer belgischen Witwe in ihrer Wohnung zwischen Alltagsverrichtungen, bei denen sogar das Gemüseschälen einen in den Bann zieht, und dem diskreten Empfang von solventen Herren, aufzeichnet, bekommt man nun die Möglichkeit die unbekannteren, gleichermaßen konsequenten und irritierenden Filme aus diese Phase zu sehen. Schon in den 70ern, als Experimentieren noch erlaubt war, waren diese zu unkonventionell für den Arthaus-Markt. ‘Saute Ma Ville’, ist ein kleiner, anarchistischer Kurzfilm, den Akerman mit 18 Jahren realisierte. Nachdem die überdrehte Darstellerin (C. Akerman) in der Küche kocht, isst, Schuhe putzt, den Boden aufzieht, Zeitung liest und dazwischen den Tür -und den Fensterrahmen abklebt, dreht sie, aus der gleichen unbeschwerten Laune heraus,den Gasherd auf, setzt eine Zeitungsseite in Brand und sprengt sich und die Küche in die Luft. ‘La Chambre’, ein weiterer Kurzfilm, gibt einen Panoramoblick in ein Zimmer, das wie aus einer anderen Zeit mit Erinnerungsstücken gefüllt ist. Die langsame Kamerafahrt schwenkt schließlich auf das Bett, auf dem die Protagonistin (C. Akerman) scheinbar regungslos liegt. Als die Kamera wieder bei ihr angelangt, sieht man sie einen Apfel essen. Scheinbar belanglos, sind die Bilder mit einer mysteriösen Aura aus Vergangenheit und Morbidität aufgeladen.
‘News From Home’ handelt vom ersten Aufenthalt in New York. In der Tradition von Michael Snow und Jonas Mekas sieht man lange Einstellungen von einem leicht desolaten New York – Straßenkreuzungen, ein Fast Food – Restaurant nach Betriebsschluss, Baustellen, U-Bahnstationen – und Fahrten, entfernte Blicke auf die Skyline. Der Soundtrack aus den Geräuschen der Großstadt wird gebrochen, indem Chantal Akerman die Briefe, die ihre Mutter, scheinbar mehrmals pro Woche an sie schreibt, vorliest. ‘Hotel Monterey’, ein weiterer ‘New York-Film’ kommt ohne Ton aus und fokusiert sich in einer statischen Einstellung auf die Empfangshalle des Hotels. Menschen kommen und gehen, benutzen den Lift, sind aus dem Bild. Alles bleibt fragmentarisch und die Leben verlieren sich. In ‘Je Tu Il Elle’ schreibt eine junge Frau (C. Akerman), freiwillig in einem Raum eingeschlossen, zwanghaft Briefe an eine abwesende Freundin/Geliebte, ist später mit einem Lastwagenfahrer unterwegs, trifft dann ihre Freundin. Der Film ist formal streng und kommt ohne Suspenseelemente aus. ‘Les Rendez-Vous D’Anna’ handelt von einer Filmemacherin, die sich zwischen Deutschland, Brüssel und Paris bewegt und trotz Kontakte ihre Einsamkeit lebt.
Chantal Akermans Filme handeln bei weitem nicht nur, wie ihr nachgesagt wird, von weiblicher Emanzipation und sexualpolitischen Fragestellungen. Geboren 1950 in Brüssel als Tochter polnisch-jüdischer Eltern (die Großmutter wurde im KZ ermordet), wuchs sie im Einfluss von verschiedenen Kulturen, Sprachen und Interpretationen der Vergangenheit auf. Die subtilen Ausgrenzungen mittels Sprache, die sie, wie sie in einem Interview mit der Kunstzeitung ArtForum erzählt, in Belgien und Frankreich im Gegensatz zu New York, wo jeder seine Art von Englisch redet und es keine Rolle spielt, erlebte. Sie bezieht sich auf Deleuze, der in Bezug auf Kafka von einfacher und strenger Literatur schreibt. Ihre Bilder, vor allem die zu ihrem Markenzeichen gewordenden Frontaleinstellungen, sind von ähnlich trockener und soghafter Wirkung. Migration und Immigration, metaphysich und konkret sind wiederkehrende Themen in ihren Filmen; es geht um Erinnerung und letztlich um das Vergehen der (Lebens-) Zeit. Nirgendwo anders kann man das so unerbittlich und gekonnt verfolgen.