Ripples

November 14th, 2022

Tall Dwarfs – Unravelled 1981 – 2002

 

Nach dem Urschrei des Punks verschwanden die größten musikalischen Übel der 1970er- Jahre – Bombastrock und Disko – ersteinmal aus der Musikpresse, dem Radio und Fernsehen. Die schrägere Fraktion der nachfolgenden New Wave – oder Post-Punk-Bands experimentierte mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, vermischte zuvor undenkbare Genres und ließ Neues entstehen. Die Säulenheiligen des Art-Rocks und damit Vorbild für das meiste, was in den wilden Jahren zwischen 1978 und 1982 produziert wurde, war aber trotzdem eine Band aus den 1960ern Jahren : The Velvet Underground. Deren Coolness und Singularität war zwar kaum zu erreichen, aber die vier Alben, die soviel Einfluss haben sollte, verkauften sich zur aktiven Zeit der Band auch nicht gut. Die Düsternis und Verschrobenheit, die die Musik der New Wave-Bands dieser Zeit ausstrahlte und verkörperte, wurde dann aber bald wieder vom Synthiepop, den New Romantics, einer aufdringlichen Ichbezogenheit und die Rückkehr zum banaleren Hedonismus abgelöst.
Und dann bekam man in der Spartensendung des favorisierten öffentlich-rechtlichen Radios plötzlich eine Vielzahl unglaublich guter Bands aus Neuseeland zu hören, die die “reine Lehre” (VU) noch linientreuer zu verinnerlicht zu haben schienen und trotzdem alle irgendwie wie aus der Zeit gefallen und eigen klangen. Jedenfalls ließ sich dadurch die sich androhende Durststrecke noch etwas herauszögern. Die intellektuell-angehauchten Verlaines, die rockigen Clean, die neo-psychedelischen Chills, The Bats, The Gordons oder das obskure, esoterische-andersweltliche Frauentrio Marie And The Atoms waren alle sehr gut. Das Label aus Dunedin Flying Nun trug die Botschaft um die Welt und in die alternativen Plattenläden. Das Bonner Label Normal veröffentlichte den einflussreichen Tuatara-Sampler und die obskuren 12”Inches aus Neuseeland fand man nun auch in Hagen (Pastell) bis London (Rough Trade). Auch die der Tall Dwarfs. Dieses Duo – Chris Knox, Alec Bathgate – klang nochmal anders als die Labelkollegen.
1980 hatten sie für eine kurze Zeit und dem Namen Toy Love einen Plattenvertrag bei Warner und veröffentlichten, inspieriert vom New Wave der damaligen Zeit, eine Platte, die floppte. Aus war der Traum und die Illusion einer Musikkarriere.Von nun an kochten sie ihr eigenes Süppchen und das speiste sich neben dem Punkspirit aus allerhand psychedelischen Substanzen.
Bathgate hatte keinerlei Ambitionen, seinen Beruf als Grafiker nochmals mit dem des professionellen Musikers zu tauschen und Knox arbeitete bei Flying Nun. Freunde und Familie waren wichtiger als Tourneen, aber den Spaß an der Musik ließ man sich umsomehr nicht mehr nehmen. Ähnlich wie Martin Newell in der südenglischen Provinz nahm man mit einfachsten Mitteln zuhause auf und produzierte Perle um Perle an genial-verschrobenen Popsongs. Die Tall Dwarfs klangen im Grunde viel mehr nach den Beatles und deren Revolver-Album als nach coolem New York City Sound; die Musik wurde aber nicht im Studio, sondern zuhause, in diversen Kellern oder live eingespielt und viele der grandiosen melodischen Songs offenbarten sich erst zur Gänze, wenn man sich die Mühe machte, hinter einem Wall Of Noise und den rohen und unperfekten Aufnahmen, die wahre Schönheit zu suchen; pure Alchemie.
Trotz oder gerade wegen der sympathischen Verweigerung für den kommerziellen Aspekt des Business wurde das Duo über die Jahre von weniger talentierten, aber ambitionierteren Zeitgenossen wie Yo La Tengo, Pavement, Bill Callahan usw. hoch gehandelt.
Die Tall Dwarfs existierten bis zu einer ernsten Erkrankung von Chris Knox bis 2002 und veröffentlichten nach den ersten sporadischen EP’s in unregelmäßigen Abständen Alben.
Fünfundfünfzig Songs kann man nun auf der längst überfälligen Kompilation Unravelled
(4 LP’s oder 2 CD’s) sich nocheinmal zu Gemüte führen und wird aufs Neue darüber erstaunt sein, wie gut Knox und Bathgate den Punk-Spirit mit einem genialem Gespür für Pop vermischten.

http://www.mergerecords.com

Ripples

November 12th, 2022

Die Kassettenseite

Baumschule – 39:12
Romain De Ferron – Ravi
Venediktos Tempelboom – Het Vuil Volkske
Sourdure -De Bon Astre

Dass sich aufgrund des Mangels an Fabrikationswerken die Produktion einer Schallplatte  bis zu einem Jahr strecken kann und die Beschleunigung der Welt, zumindest in dieser Hinsicht und als kleiner Beitrag für das Ganze, etwas ausgebremst wird, ist durchaus eine nette Begleiterscheinung. Dies ist natürlich dem allgemeinen gesteigerten Interesse des Mainstreampublikums am Vinylformat geschuldet, das für eine große Wiederveröffentlichungswelle altbekannter Titel sorgte und die Kleinlabels hintenanstellte.
So finden schneller herzustellende Tonträger wie die Kassette und die ungeliebte CD im Off-Stream-Universum gleichfalls einen Aufschwung.
Lange Rede, kurzer Sinn: Nachfolgend einige neue Kassettenproduktionen, die teilweise auch im CD-Format erhätlich sind.

Raphael Loher (Piano), Julius Satoris (Drums) und Manuel Troller (Guitar) sind meines Wissens zwar keine fundierten Kenntnisse des Gartenbaus nachzusagen, trotzdem ist der Name ihrer gemeinsamen Band – Baumschule (three:four) -natürlich mit Bedacht gewählt. Den Spuren der großen Meister der Reduktionskunst der 00er- Jahre folgend, lassen sie ihr fast vierzigminütiges Stück sich kontinuierlich entwickeln und auf- und abbauen, sprießen sozusagen, um im botanischen Jargon zu bleiben, ohne dass der Geräuschpegel jemals Gefahr läuft, in den roten Bereich auszuschlagen. Fließend und ohne Dramaturgie wird man beim Hören von 39:12 trotzdem in einen Sog gezogen und folgt der sich das ganze Stück durchziehenden Perkussionsfigur, den Piano- und der Gitarrenmotiven, die zarte Farbtupfer setzen und sich doch permanent verändern.

Wie eine digitalisierte Version von Look de Bouk und deren von Dada und Art Brut beeinflussten kunstaffinen Umfeld klingt der Landsmann Romain de Ferron aus Lyon auf seinem Debutalbum, das lange auf sich warten ließ, jetzt aber als Tape auf Kraak erschienen ist. Ansonsten in verschiedenen Bands wie Omertà oder Ballader engagiert, als Veranstalter und Fanzinemacher aktiv, neigt De Ferron auf Ravi (kraak) auch nicht zur Introspektion und Entspanntheit.

Überschwängliche Melodien, die immer auch etwas Irritierendes und Artifizielles innehaben, eine chronische Unruhe, verspielte Miniaturen und Gesänge und Chöre, die direkt aus dem Alienland daherkommen, prägen dieses kurzweilige Album. De Ferron spielt Synthesizermusik zwischen Pop und Avantgarde, ein Hauch Reich’schen Minimalismus lässt sich auch nicht verbergen und manchmal klingt auch die Melancholie eines Pascal Comelade bzw. seiner Urformation Fall Of Saigon (allerdings auf Acid oder etwas Vergleichbarem) mit.

Wie de Ferron ist auch Ernest Bergez an unterschiedlichsten Projekten beteiligt. Das Post-Techno Noise-Duo mit Clément Vercelletto (dessen eigenes Album unter dem Pseudonym Sarah Terral Le Ménsque Original auch bei Three:Four erhältlich ist) Kaumwald ist dabei genauso zu erwähnen wie das Trio mit Èlg Orgue Agnès. Seine Solo-Arbeiten veröffentlicht Bergez allerdings meist als Sourdure.
Für den Film von Sébastien Betbeder Debout Sur La Montagne komponierte er nun den Soundtrack. Das Album De Bon Astre (three:four) könnte gut in die Reihe des legendären französischen Labels Nato passen, das merkwürdige und uneinsortierbare Film- und Worldmusik neben ihrem eigentlichen Markenzeichen Jazz und Improvisation veröffentlichte. Aber auch das jetzige Label von Bergez Three Four hat mit dem Soundtrack für Les Particules von Èlg ein Album von ähnlicher Qualität veröffentlicht, ein Attribut, das natürlich auch für De Bon Astre zutreffend ist. Die kurzen Stücke weisen eine bewundernswerte Vielfalt und Sophistication auf; mit Eloïse Decazes, Julien Desailly und François Arbon als Gastmusiker hat Bergez auch ähnlich veranlagte Zeitgenossen der französischen Independent-Szene gewinnen können.

Die Stimmung der archaischen und rauen Landschaft der Pyrenäen, der überalterten Bewohner, der beinahe verlassenen Dörfer, des einnzig übriggebliebenen Cafés oder Lebensmittelladens, der verborgenen Geheimnisse und letztlich auch die der Schönheit dieser Landschaft fängt Le Bon Astre ein.

Benoit Monsieurs hat dagegen musikalisch mit der europäischen Verkopftheit und versteckten Doppelbotschaften nicht viel am Hut.

Seine Inspirationen findet er bei den Gitarrenmeistern des Wilden Westens und Ostens der USA- John Fahey, Robbie Basho – oder deren erklärten Anhängern wie James Blackshaw oder Ben Chesny. Venediktos Tempelboom aka Benoit Monsieurs, so sein, Achtung: tongue in cheek, Künstlername lässt mit seiner 12-Saitigen musikalische Landschaften entstehen, die sich buchstäblich vor dem inneren Auge des Zuhörers visualisieren. Und wie bei den Großmeistern dieses Genres wohnt den Stücken Magie und Sehnsucht inne, die die Musik in eine andere Sphräre hieven, die Spiritualität, weite Wüsten und das Versprechen der einen oder anderen Fata Morgana suggerieren. (kraak)

 

http://www.wearethreefour.bandcamp.com