J. G. Ballard

‘I sometimes think that in a sense we’re entering a New Dark Age. The lights are full on, but there’s an inner darkness…because we’re retreating into a sort of mind-set of our pre-rational forebears who lived in a kind of animist world where everything had a spirit – every twig, every stone in a stream… where questions of guilt and anxiety and fear and aggression ruled our reflexes.

It’s an extraordinary development that someone working on the forefront of advanced science and technology should on Sunday put on a different hat, go off and listen to fables spun about a Palestinian resurrection cult 2000 years ago. It’s bizarre, in a way.’ (JGB, conversation with V. Vale, Graeme Revell)

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Mit der Verfilmung des halb autobigraphischen, halb fiktiven (und sehr untypischen) Buches ‘Empire Of The Sun’ durch Steven Spielberg verdiente sich James Graham Ballard seinen späteren Lebensunterhalt; sein Name schien für einmal zumindest den nachspannlesenden Kinogängern im deutschsprachigen Raum aufzufallen. Ansonsten ist sein Werk, das immerhin rund fünfundzwanzig Romane, zahlreiche Kurzgeschichten und eine Autobiographie umfasst, hier wohl nur Sammlernaturen der violetten SF-Suhrkamp-Reihe ein Begriff; Mitte der 1980er stellte man die Übersetzungen dann ganz ein. Merkwürdig, denn in England, den U.S.A. oder in Frankreich war Ballard nicht nur für die Anhänger von Science Fiction ein Visionär; man sagte ihm generell nach, in seinem Werk immer wieder gesellschaftliche und naturwissenschaftlich-technische Veränderungen vorausgeahnt zu haben. Wie kein anderer zeitgenössicher Schriftsteller in den letzten fünfzig Jahren inspirierte er auch immer wieder unterschiedlichste Künstler der Avantgarde.

Die biographischen Eckdaten – 1937 als ältester Sohn eines britischen Ehepaares, das nach Schanghai emigrierte, geboren, nach dem Angriff auf Pearl Harbour in einem japanischen Gefangenenlager interniert, Rückkehr nach England, abgebrochenes Medizinstudium, ein Jahr Volontär bei der RAF im tiefsten Kanada – halfen sicherlich, sein Talent und seine Imagination weiter zu schulen. Schließlich verzichtete er auf sämtliche konventionellen Karrieremöglichkeiten und beschloss, Schriftsteller zu werden (und ganz nebenbei, nach dem plötzlichen, unvorhergesehenen Tod seiner Frau Mary Mathews, seine drei Kinder alleine großzuziehen). Ballard veränderte Form und Themen seiner Kurzgeschichten und Romane in verschiedenen Phasen immer wieder, doch blieb seine Art des Schreibens immer unverkennbar.

Ende der 5oer Jahre machte er sich durch seine ersten Kurzgeschichten in SF-Magazinen einen Namen, nur um einige Jahre später, vom Surrealismus inspieriert, den Ruf eines Provokateurs angehängt zu bekommen. Crash und The Atrocity Exihibtion (mit dem schönen Kapitel ‘Why I want to fuck Ronald Reagan?’) waren wie später High Rise und The Unlimited Dream Conspiracy Bezugspunkte für die Avantgarde, später auch für Punk. Cabaret Voltaire, Ultravox, Joy Division, Daniel Miller nahmen, wie schon zuvor Bowie oder danach Klaxons, direkt bezug auf Ballard in ihren Titeln; dem NME dienten die Texte gut als Begleitung zu eigenen Idiosynkrasien. Inhaltlich passten seine Endzeitstudien und die unterkühlte, durch seltsame Metaphern eine befremdende und zefallende, hoch technisierte, aber degenerierte Zivilisation beschreibende Sprache zur Weltenlage. Die Aufarbeitung seiner Jugend und des Zweiten Weltkrieges brachte ihm, wie erwähnt, die größte Aufmerksamkeit ein; in seinem Spätwerk beschrieb er in weniger experimenteller Sprache, aber wie stets akurat und eben ballardistisch, unterschiedliche ‘gated communities’ , scheinbar höheren Idealen nacheifernde Gruppen – Tierschützer, Naturfreaks in Feriendomizilen, Selbstverwirklichungszirkel, die sich innerhalb kurzer Zeit in faschistoide Sekten verwandeln sollten.
Seine wieder einmal luzide Prognose von der Entstehung scheinbarer Parallelwelten , die sich um die großen Metropolen zwischen Autobahnring und Shoppingmalls entwickeln und ihre eigenen Gesetze festlegen, inspirierte andere Künstler, z.B. den psychogeographischen Schreiber Iain Sinclair, der in ‘London Orbital‘ nach aktuellen und verschollenen Spuren zwischen den Ausläufern der Stadt und dem Schnellverkehr suchte. Verfilmungen von Ballards Texten wurden einige versucht, doch ähnlich dicht ließen sie sich visuell kaum umsetzen. Cronenbergs ‘Crash’ und vor allem ‘The Atrocity Exhibition’ von Jonathan Weiss (in der DVD-Edition gibt es als Extra ein Gespräch zwischen Weiss und Ballard zu den einzelnen Szenen) kommen ihnen jedoch am nächsten und sind vor allem gute Filme.

In den Achzigern kam es zwischen dem der San Franciscoer Punk- und Kunstszene entwachsenen Re/Search – Verlag von V. Vale und Ballard zu einem intensiven Austausch, der seinen Namen in den Staaten wieder publik machte. Vale stellte durch die Re/Search-Publikationen Verbindungen von Ballard zu Burroughs, von Industrial zu anderen von der breiten Öffentlichkeit als abseitig denunzierten Vertretern her, die über Themen der Kunst, der Philosophie oder der Moden und deren Verhältnis zur Macht nachdachten. Ballards Werk durchziehende Themen – Technologie, Surrealismus, Langeweile, Kontrollzwang, grundlose Gewalt, entfremdete Naturbeobachtungen und neurotischer Sex passten zu den paranoid-wirkenden Überwachungsideen der Zeit, – die aber schneller Realität wurden als sie geschrieben waren. Ballard war zweifelslos der talentierteste Schriftsteller aus diesem Kreis, seine ungemein dichten Beschreibungen von tatsächlichen und imaginären Landschaften und Kontexten bleiben zeitlos beunruhigend und seine Sprache ist von bizarrer Schönheit.

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