British Ghost Stories 3

November 28th, 2010

Richard Skelton  – Marking Time

Es sind imaginäre Landschaften, die Richard Skelton mit seiner Musik heraufzubeschwören versucht, aber auch die realen West Pennine Moors in Lancashire, unweit seines Wohnhorts Standish gelegen, hinterlassen ihre Prägungen, die in die Kompositionen miteinfließen. Der wilde, raue, zwischen ruinösen Überbleibseln des Industriezeitalters und zerfurchten Heidelandschaften sich vermischende Nord-Westen Englands ist nicht wirklich mit der Leichtigkeit des Seins in Einklang zu bringen. Obwohl, wie überall, die Zeichen der Zeit unübersehbar sind und sich ausgedehnte Shopping- und Freizeitwüsten am Rande der Städte weiterhin ausbreiten, wirkt diese Gegend zwischen den urbanen Zentren auf den ersten Blick merkwürdig unverbaut. Bei genauerer Betrachtung allerdings lässt sich auch erkennen, dass einen die eigene Wahrnehmung mitunter trügt und eine gewaltige Rückeroberung der ehemaligen Kanäle, Fabrikanlagen und Brachflächen durch die Natur stattfindet.


Die siebzig Minuten Musik auf Landings sind Skeltons persönliches Substrat, gewonnen aus seiner Beziehung mit dieser Natur. Über einen längeren Zeitraum machte er Notizen über seine persönlichen Eindrücke und erforschte die Landschaft während des Zyklus der Jahreszeiten. Er improvisierte mit verschiedenen Instrumenten in den Mooren, brachte Blätter, Samen oder Äste von draußen in sein Studio, um Gitarre oder Geige damit zu bespielen und eine direkte Verbindung herzustellen. Die Aufnahmen führte er mittels Kassetten symbolisch wieder zurück in die Natur. (Die aktionistische Kunstform des Tape Droppings hat in England Tradition: vom Post-Industrial-Umfeld über den anarchistischen Radiomacher Meadow House bis hin zu Skelton selbst, der auch schon Aufnahmen in Bibliotheken als Versuch der direkten Kommunikation oder Provokation ‘verlor’.)

Richard Skelton ist als Künstler nicht wirklich einer Richtung zuzuordnen. Elemente der Konzeptkunst, Landart, der Improvisation-, Minimal- und Dronemusik findet man eng miteinander verwoben. Seine Arbeiten sind grundstätzlich von einer Strenge und Konsequenz, dass man annehmen könnte, die Beliebigkeit der Post-Moderne hätte nie stattgefunden. Dass seine Musik nichts mit Zeitgeistigem oder der atmosphärischen Berieselung der Umwelt – das Ziel kommerzieller Instrumentalmuzak – gemein hat, sondern vielmehr Variationen des “deep listening” auslotet, hat auch mit einer persönlichen Krise zu tun, verursacht durch den frühen Tod seiner Lebensgefährtin. Louise Skelton – selbst auch Künstlerin – werden die Stücke gewidmet, und bei der graphischen Gestaltung der Albumhüllen verwendet Skelton auch teilweise ihre Fotografien oder Kunstwerke; Würdigung und Trauerarbeit zugleich.

In einem Interview mit dem Kunstmagazin Frieze spricht Skelton von einem Schlüsselerlebnis, das ihn aus seiner Trauer riss und wieder kreativ werden ließ. Er nahm eines Tages die Gitarre, die ihm von seiner Frau geschenkt wurde, spielte einen Akkord auf dem verstimmten Instrument und spürte, wie die Töne in seinem Körper eine Resonanz erzeugten. ‘In diesem Moment entstand mit einem Mal ein neues Verständnis für Musik und weckte in mir die Neugier, mich mit der Physis von Klängen und Schwingungen und objektbezogenen Kompositionen zu beschäftigen.’
Landings, das bisher größtangelegte Projekt, erschien als Vinyl – und CD-Zweitauflage auf Type-Records. Dazu gab es ein limitiertes Buch, das Skeltons oben erwähnte Notizen und poetische Betrachtungen, die während des Reifens der Ideen für die Kompositionen in den Mooren entstanden sind, beinhalten.
Richard Skeltons Sustain-Release, sein Label, ist konzeptuell bewusst das ‘romantische’ Gegenstück zum derzeitigen Musikmarkt mit seinen Downloadarchiven und depersonifizierten Artfiles. Die Alben sind anfangs in extrem limitierten Auflagen angeboten worden, teilweise zehn Exemplare nicht übersteigend. Das Artwork beinhaltete oft ein ‘found object’ aus der Natur, das die Musik inspiriert hatte, wie ein Blatt, Korn oder einen Samen. Auch wurde das Exemplar dem Besteller persönlich gewidmet. Die Kunst der Kommunkation und die Aura des Objekts in Zeiten der virtuellen Welt und Dematerialisierung zu pflegen; das sind wahrlich altruistische Themen, aber ist der Wunsch nach einem taktilen, sinnlichen Erleben von Kunst/Musik, gar die Versuchung zur Dechiffrierung, tatsächlich auß der Mode, oder wurde dies in virtuelle Bereiche verlagert und dort fortgeführt?
Die Nachfrage am Sustain Release-Katalog ist aber gestiegen. Weiterhin kreiert Richard Skelton diese speziellen Einzelanfertigungen, die neben der Compact Disc spezielle Verpackungen und z.B. fragmentarische Texte beinhalten, die mit dem Ort und dem Datum der Aufnahme in Zusammenhang stehen. Von vergriffenen Alben gibt es teils Zweitauflagen, und Marking Time, Crow Autumn und – wie erwähnt – Landings sind als Linzenzveröffentlichungen auf ausgesuchten unabhängigen Labels erschienen.
Für die mittlerweile fünfzehn, kürzeren bis zu Albumlänge umfassenden, Veröffentlichungen erfand Richard Skelton verschiedene Namen: A Broken Consort, Carousell, Harlassen, Clouwbeck, Heidika, Rift Music. Die Musik unterscheidet sich natürlich, aber alle Veröffentlichungen teilen einen speziellen Ton und eine charakteristische Färbung, die sie unschwer dem gleichen Komponisten zuordnen lassen. Skelton bringt die Kompositionen erst,mit den verschiedenen Projektnamen in Einklang, nachdem sie fertiggestellt sind, bzw., sollte sich die Musik grundsätzlich unterscheiden, entscheidet er sich für einen neuen. Er spielt bevorzugt Piano, Gitarre und Streichinstrumente – mit den letzten beiden macht er auch Aufnahmen in der Natur. Über längere Improvisationsprozesse entstehen konkretere Stücke. Eine Vielzahl übereinandergelagerter Layers, bei denen die oszillierenden Streicherparts dominieren, aber andere Schattierungen mitschwingen, machen normalerweise ein Stück aus.
Spielt bei einem Teil der naturwissenschaftlich-inspirierten musikalischen Feldforscher, von denen es momentan nicht wenige gibt, die klinisch-scharfe Trennung der Quellen bzw. der Dokumentationsaspekt eine dominierende (natürlich gleichfalls faszinierende) Rolle, sind bei Skelton die verschiedenen Schichten der Musik, bei denen auch Naturaufnahmen ihre Wichtigkeit haben, nicht ohne weiteres zu entschlüsseln. Es geht ganz traditionell um die magischen Aspekte der Musik und die Geheimnisse, die sie birgt.

Seine warme, introspektive, teilweise meditative, immer auch irgendwie halluzinatorische Musik mäandert nicht in Ambienten und sonstigen flachen Gewässern; dafür sind die Stücke zu unruhig und dramatisch, schwellen immer wieder an und ab, manifestieren sich in längeren Phasen intensiver Obertöne und sind letztlich zu intensiv und düster. Inspiriert wurde Richard Skelton unter anderem durch (neo-sakrale-) Komponisten wie (den inzwischen verstorbenen) Gorecki oder Pärt, aber auch Nick Drake oder Six Organs Of Admittance werden genannt. Selbst kommen mir beim Hören autodidaktische und die Kunst der Repetition beherrschende Post-Industrialisten wie Zoviet France (die nicht viel weiter nördlich, in Northumberland, Zivilisationsruinen und Natur erforschten und auch schon mit handgefertigten Verpackungen aus Jute, Sandpapier, Holz oder Aluminium experimentierten) oder DDAA in den Sinn. Verwandte im Geiste, im Sinne der Auseinandersetzung mit dem historischen und persönlichen Gedächtnis, den Erinnerungslücken und Wahrnehmungstäuschungen, sind sicherlich auch Philip Jeck und Leyland Kirby.
Bei den extrem subjektiven Betrachungsweisen und Dialogen mit der Natur und elementaren Themen wie Formierung und Erosion, Zerfall und Erneuerung, Verlust und dem Vergehen der Zeit, begibt sich Richard Skelton nicht auf den metaphorisch-philosophischen Treibsand, in dem manch anderer schon versunken ist, dafür ist seine Kunst in einer klassisch-britischen Weise zu exzentrisch und mit dem Mainstream inkompatibel.
Seine Musik und Kunst stieß in letzter Zeit in Radiosendungen und Publikationen, die weiterhin an das Abseitige glauben, auf gesteigertes Interesse. Auch kamen zunehmend Kontakte mit anderen Musikern und Künstlern zustande. Dieses Jahr resultierten aus diesen Kommunikationen beispielsweise eine CD mit Maschinenfabriek und diverse Liveaufführungen in London von The Clearing, einer Bearbeitung eines Skelton-Stückes für eine Avantgarde-Tanzgruppe.
Die New Corbel Stone Press, verantwortlich für aufwendig gedruckte Poetry-Büchlein, von denen schon einige Bände erhältlich sind, unterhält er zusammen mit A. Richardson.

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